© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Sehnsucht nach der Revolution
Studie: Der Linksextremismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen
Christian Schreiber

Es vergeht kaum eine politische Rede, in der nicht gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und rechten Extremismus argumentiert wird. Es gibt Förderprogramme, Initiativen und Projekte, die mit Millionenbeträgen subventioniert werden. Der „Kampf gegen Rechts“ ist zu einem einträglichen Geschäft geworden. Daß es in Deutschland eine militante linke Szene gibt, die offenbar großen Rückhalt in teilen der Bevölkerung hat, wird dagegen gerne ausgeblendet. Um so überraschender sind die Ergebnisse einer Studie, die eine Forschergruppe der Freien Universität Berlin unter Leitung des Politikwissenschaftlers Klaus Schroeder erstellt hat.

In der Untersuchung wurden die Teilnehmer befragt, inwieweit sie verschiedenen Dimensionen eines linksextremen Einstellungsmusters zustimmten oder diese ablehnten. Die Forscher ermittelten auf dieser Basis, daß ein Sechstel der Gesamtbevölkerung (Westdeutschland: 14 Prozent; Ostdeutschland: 28 Prozent) eine linksradikale oder linksextreme Grundhaltung hat. Dabei weisen vier Prozent ein nahezu geschlossenes linksextremes Welt- und Gesellschaftsbild auf, 13 Prozent stimmen überwiegend den jeweiligen Facetten eines linksextremen Einstellungsmusters zu.

Auf 650 Seiten versuchen die Autoren, prägende „Gesellschafts- und Menschenbilder der linksextremen Szene“ herauszuarbeiten und zu klären, wie hoch die Akzeptanz dieser Einstellungen im Rest der Bevölkerung ist. „Was mich aber schockiert hat, ist die gestiegene Zahl links motivierter Gewalttaten seit Anfang des neuen Jahrtausends. In der öffentlichen Wahrnehmung werden diese Gewalttaten auch unterschätzt, da der Verfassungsschutz zwischen links und linksextrem motivierten Gewalttaten unterscheidet und die links motivierten Taten in der detaillierten Betrachtung außen vor läßt“, sagte Schroeder der Zeit.

Wie aus der Studie hervorgeht, liegt die durchschnittliche Zustimmung zum Einsatz politisch motivierter Gewalt bei sieben Prozent. Von den als linksextrem eingestuften Personen befürworteten 14 Prozent Gewaltanwendung. Das für die Wissenschaftler erstaunlichste und für sie nicht zu erklärende Ergebnis ergab sich bei der Frage nach dem staatlichen Gewaltmonopol. Nur knapp die Hälfte sprach sich für seine Beibehaltung aus; 46 Prozent waren für seine Abschaffung. In den neuen Bundesländern sind die linken Vorstellungen mit 28 Prozent Zustimmung deutlich weiter verbreitet als im Westen mit 14 Prozent – „ein Phänomen, das sich mit der antikapitalistischen Nachprägung aus DDR-Zeiten und den etwas anderen Erfahrungen nach 1990 erklären läßt“, schreiben die Autoren.

Gut 20 Prozent wollen den Umsturz

Mehr als 60 Prozent der Befragten gaben an, daß sie das politische System in Deutschland nicht für eine echte Demokratie halten, da die Wirtschaft und nicht die Wähler das Sagen hätten. Nahezu 50 Prozent wollen eine zunehmende Überwachung linker Systemkritiker durch Staat und Polizei festgestellt haben, etwas mehr als ein Viertel (27 Prozent) befürchteten der Studie zufolge, daß Deutschland durch eine zunehmende Überwachung von Bürgern auf dem Weg in eine neue Diktatur sei.

Den Unterschied zwischen radikalen und extremen linken Bestrebungen haben die Forscher wie folgt definiert: Radikal sei demnach die Gruppe, die die freie Marktwirtschaft ablehne, aber ansonsten das Staatsmonopol nicht in Frage stelle. Linksextreme seien dagegen Personen, welche die bürgerliche Gesellschaft zerstören und den bestehenden Staat zerschlagen wollen.

So sind 20 Prozent der der Befragten der Meinung, daß sich mit Reformen keine Verbesserung der Lebensbedingungen erreichen lasse, statt dessen plädierten sie für Revolution. 60 Prozent der Mitteldeutschen und auch ein Drittel der Westbürger halten Sozialismus demnach für eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt worden sei. Und immerhin knapp ein Drittel glaubt, eine echte Demokratie sei nur ohne Kapitalismus möglich: „Ich hätte nie gedacht, daß 16 Prozent dem Satz zustimmen, Kapitalismus führe letztlich zu Faschismus. Oder daß 18 Prozent die Gefahr eines neuen Faschismus sehen. Das hat mich überrascht“, erklärte Schroeder.

Die Initiative zur Studie ging übrigens von der damaligen Familienministerin Kristina Schröder (CDU) aus. Ihre Nachfolgerin Manuela Schwesig (SPD) hat dagegen die von Schröder initiierten Programme gegen Linksextremismus wieder gestrichen. Das Problem sei „aufgebauscht“ gewesen, die Initiativen völlig wirkungslos. Dem widerspricht der Hamburger Politologe Karsten Hoffmann, einer der wenigen Experten auf dem Feld der Linksextremismus-Forschung: „Die militante Linke ist mit Steinewerfern zwar nicht in der Lage, den Staat ins Wanken zu bringen. Aber das hat sie gar nicht nötig, weil ihr Einfluß auf die Meinungsbildung in diesem Land schon immens ist.“

Studienautor Klaus Schroeder bemühte sich bei der Präsentation um eine differenzierte Sichtweise. Der organisierte Linksextremismus stelle „keine Gefahr für die Demokratie dar“. Aber generell ist die Gesellschaft nach links gerückt und die Parteien auch. In diese Lücke ist die AfD ja hineingestoßen.“

Foto: Linksextremisten in Hamburg (2013): Das Gewaltmonopol wird in Frage gestellt

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