© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Die Abgeordneten kapitulieren
Bundestag: Die Griechenland-Abstimmung zeigt die Krise des Parlamentarismus
Paul Rosen

Die Griechen kennen den Begriff am besten: Am vergangenen Freitag erzielten sie im Bundestag einen Pyrrhus-Sieg, mit dem sie eine Fristverlängerung für Hilfszahlungen von vier Monaten erreichten. Wie der legendäre König Pyrrhus von Epirus (318 – 272 v. Chr.) nach der Schlacht gegen die Römer kann die griechische Regierung davon ausgehen, daß ihr Hilfsantrag schwere Schäden beim Geldgeber Deutschland angerichtet hat und dann mit König Pyrrhus einstimmen: „Noch so eine Schlacht, und wir sind verloren.“

Gewonnen hat ein letztes Mal die neue Regierung in Athen, verloren haben die deutschen Abgeordneten, die auf dem Schlachtfeld nicht nur 60 Millionen Euro pro Tag ließen, wie der Bund der Steuerzahler vorrechnete. Sondern sie verloren zugleich ihre Glaubwürdigkeit und ließen sich von der Bundesregierung am Nasenring führen. Das kann und wird nicht gutgehen.

Mit einer einzigartigen Propagandaoffensive versuchten Bundesregierung, EU-Kommission und die Regierung in Athen den wahren Zustand der griechischen Finanzen zu verschleiern. Nach Ansicht fast aller Volkswirte in Deutschland steht das Land vor dem Bankrott. Die Bundesregierung hielt in einer Analyse im Oktober 2014 dagegen: „Griechenland hat wichtige Fortschritte bei der Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise gemacht ... Das Vertrauen der Finanzmärkte kehrt langsam wieder zurück.“ Zu diesem Zeitpunkt etwa begann die griechische Bevölkerung damit, ihre Bargeldbestände in Sicherheit zu bringen. Dennoch wurde auch die EU-Kommission nicht müde, das Lied von der Genesung des griechischen Patienten zu schmettern. Die Kommission gab am 5. Februar eine Wachstumsprognose für Griechenland von plus 1,8 Prozent ab. Das Pleiteland soll zudem einen positiven Finanzierungssaldo von 1,1 Prozent haben und Schulden zurückzahlen. Die Aussichten für 2016 wurden noch rosiger gemalt, obwohl das Land weiter in die Rezession rutscht.

Trotz Krise hatte die griechische Regierung immer noch genug Holz zum Bau eines Trojanischen Pferdes. Am Dienstag vergangener Woche traf ein Brief bei der Brüsseler EU-Kommission ein, in dem Griechenland versprach, Steuern einzutreiben, Bürokratie abzubauen, den Sozialstaat zu reduzieren und das Rentenalter zu erhöhen sowie den Betrug und die Korruption zu bekämpfen. „Warum kommt einem das alles so bekannt vor“, fragte die Frankfurter Allgemeine Zeitung und gab den Tip, alle früheren griechischen Ankündigungen nebeneinander zu legen. Dann habe man die Antwort.

Die Sollbruchstelle der Union wird sichtbar

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schreckte dies nicht. Schon einen Tag vor dem Eintreffen des griechischen Hilfsantrages in Brüssel stellte er bei Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) den Antrag, dem Hilfeersuchen Athens zuzustimmen. Natürlich hatte Schäuble einen Vorbehalt eingebaut, aber stellte andererseits unverblümt fest: „Griechenland hat sein klares Bekenntnis bekräftigt, allen finanziellen Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern vollständig und pünktlich nachzukommen.“ Das Schäuble-Schreiben ist Ausdruck der Arroganz der Macht und liest sich wie eine Provokation des deutschen Parlaments.

Die griechische Regierung trieb es aber keinen Deut besser. Am Mittwoch vergangenener Woche, und damit zwei Tage vor der Abstimmung im Bundestag gab der wegen seines leger getragenen Hemdes berühmt gewordene griechische Finanzminister Yanis Varoufakis unumwunden zu, sein Land werde bei der Rückzahlung der Raten an die Europäische Zentralbank und den Internationalen Währungsfonds im Juni „ganz sicher in Schwierigkeiten kommen“. Nach Agenturberichten fehlen schon im März rund sieben Milliarden Euro, und für den Sommer werde mit einem weiteren Hilfspaket von 20 bis 50 Milliarden Euro gerechnet, heißt es in Berlin kursierenden Gerüchten.

Im Bundestag waren viele Abgeordnete entsetzt über griechische und Brüsseler Arroganz, aber auch über das Verhalten von Schäuble, dessen Verhältnis zur Wahrheit, wie es spöttisch hieß, sehr pragmatisch sei. Der Minister wiederum zeigte sich in Sitzungen von Fraktion und CSU-Landesgruppe angeblich „fassungslos“ über die griechischen Dreistigkeiten.

Trotz aller Disziplinierungsversuche stimmten 29 Unionsabgeordnete gegen das Hilfspaket, die SPD war geschlossen dafür, die Grünen zogen auch mit, und selbst die Linksfraktion zeigte sich in Teilen solidarisch mit ihren sozialistischen Brüdern in Athen. Die Mehrheitsmeinung der Unionsfraktion brachte am besten Erika Steinbach zum Ausdruck, die bislang stets für alle Rettungsmaßnahmen gestimmt hatte, jetzt aber das „Vertrauen in die Vertragstreue und Zuverlässigkeit der griechischen Regierungen endgültig verloren“ hat. Im Unterschied zu vielen anderen, die mit geballter Faust in der Tasche doch noch mal zustimmten, votierte Steinbach mit Nein. Von den 29 Nein-Stimmen kamen zehn von der CSU und sehr viele von CDU-Politikern aus Baden-Württemberg und aus den östlichen Ländern. Hier sind die Sollbruchstellen der Union zu erkennen: einerseits der christlichere Süden und konservative Osten und andererseits der säkulare und liberale Westen und Norden.

Noch schweißt die Angst vor dem Scheitern des Euro, das in der Propaganda mit dem Scheitern Europas gleichgesetzt wird, die meisten Abgeordneten wie Kinder in dunkler Nacht zusammen. Die Ängste werden weichen wie nächtliche Schatten, die Wahrheit wird ans Licht kommen und Schäuble das Fürchten lehren.

Foto: Bundestagsabgeordnete bei der Griechenland-Abstimmung: Am Nasenring der Bundesregierung

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