© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Dorn im Auge
Christian Dorn

Haut ab!“ Die unter einem zynischen Titel stehende Sonderausstellung des Jüdischen Museums über „Haltungen zur rituellen Beschneidung“ – das Plakat zur Schau zeigt eine halb geschälte Banane – wird von etwa einem halben Dutzend Polizisten im Außenbereich gesichert. Stehen die dort, weil der Islam zu Deutschland gehört? Irritierend erscheint hier die Komplizenschaft beider Religionen im archaischen Ritual der Brit Mila, das mit Genesis 17, 9-11 begründet wird. Die kritischen Stimmen im Gästebuch sind da wahrhaftiger als der teure Begleitkatalog: „Wie eine Abwandlung eines Brandzeichens bei Herdentieren: für sich selbst (...), irreversibel für alle Zeit sichtbar, Du bist Eigentum dieser Gruppe, ohne Recht auf eigene Entscheidung und körperliche Unversehrtheit.“ Oder: „Was ist das für ein ‘Gott’, der die Vorhäute der Knaben begehrt? Für mich ist er ein sado-päderastischer Tyrann.“

Manchmal reicht auch ein halbes Dutzend Polizisten nicht, wie im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Damals trat ich den Rückflug von New York an, die deutschen Tageszeitungen an Bord der KLM-Maschine überboten sich mit Berichten über „Nazi-Pogrome“ in Deutschland – als wären es die Schlagzeilen in einem falschen Film. Völlig authentisch dagegen wirkt der Kinofilm „Wir sind jung. Wir sind stark“ des bemerkenswerten jungen Regisseurs Burhan Qurbani. Nach fünfjähriger Arbeit ist dem afghanischstämmigen Filmemacher ein mutiges, ebenso berührendes wie bewegendes Dokument gelungen, das die Frage des „Identitären“ frei von jeglichen Schablonen aufwirft. Das ist die wirkliche kulturelle Bereicherung aus der Generation der „neuen Deutschen“: einen unverstellten Blick auf uns selbst zu wagen, frei von jeder politischen Korrektheit. Der nächste „Abendspaziergang“ sollte in jene Kinos führen, wo „Wir sind jung. Wir sind stark“ gezeigt wird!

„Das ist die ganze Front.“ Der russische Cafébetreiber hadert mit seiner faltbaren Fensterfront, da müsse endlich auch eine „Frontbegradigung“ erfolgen. Die Probleme am Nachbartisch beginnen bei der Arbeit am „inneren“ Kind. Eine Mutter verteidigt, ihr Kind jetzt „coachen“ zu lassen. Ein Freund widerspricht: Das klinge so, als würde man als Eltern etwas „outsourcen“. Darauf die Mutter: „Kinderberatung klingt ja altmodisch – es geht, glaube ich, darum, Potentiale zu entfalten. Da Kinder nicht sagen können, was sie wollen; die können nur sagen, was sie nicht wollen.“ – Die Eltern können sie sich jedenfalls nicht aussuchen.

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