© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Die Welt des Sekundären
Paradiesvogel: Zum Tode von Fritz J. Raddatz
Doris Neujahr

Die Nachricht vom Tod des Großfeuilletonisten Fritz J. Raddatz war keine Überraschung, und erwartbar war auch die Art, wie er ihn suchte und fand. Seit Jahren und immer eindringlicher hatte er sein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben betont. Erst vor einem Monat wiederholte der 83jährige in einem Interview, sein Lebenshorizont sei ausgeschritten, und fügte – kaum noch kryptisch – hinzu, daß nun nichts mehr käme. Einen Tag vor der Premiere seines letzten Buches ist er aus dem Leben gegangen, die Raddatz-typische Mischung aus geistiger Arbeit, die sein Lebenselixier war, und theatralischem Effekt bis zur letalen Konsequenz steigernd.

Seine Tagebücher werden überdauern

Kaum älter als 20, startete er eine raketenhafte Karriere im Verlagswesen, erst in der DDR, dann bei Rowohlt in Hamburg. Als er 1976 Feuilletonchef der Zeit wurde, durfte er sich endgültig zu den Mächtigen des Kulturbetriebs zählen. Er litt an dessen Abgründen und blieb doch auf ihn angewiesen. Er war für den mehr homo- als bisexuellen Dandy der Resonanzraum seiner Existenz. Vielleicht läßt sich Raddatz besser aus psychologischer als aus intellektueller oder politischer Perspektive begreifen. Interessanter ist es allemal.

Seine Tagebücher sind voller Klagen über Podiumsdiskussionen, Symposien, Interviews, Lesungen und Vorträge, die ihm die Zeit und Kraft raubten zur Ausführung größerer Entwürfe. Andererseits war er gekränkt, wenn die Einladungen ausblieben. „Die Überwucherung durchs Secundäre wäre ein schönes schauriges Thema“, deutete er 2001 einen nie aufgelösten Lebenskonflikt an.

Seine Tagebücher, 2010 und 2014 erschienen, geben einen tiefen Einblick in die flüchtige Welt des Sekundären und enthalten ein Panoptikum bundesdeutscher Prominenz. Sie lesen sich wie der Entwurf zu einem großen Gesellschaftsroman; von allem, was Raddatz veröffentlicht hat, werden sie wohl am längsten überdauern. Die Halbwertszeit seiner zahllosen Artikel, Essays, Monographien dürfte wegen der aufdringlichen links-engagierten Attitüde, die Raddatz pflegte, in vielen Fällen geringer sein, als jetzt in Stunden der Pietät behauptet wird.

Raddatz war ein Paradiesvogel, fast schon eine Kunstfigur, und dabei klug genug, sich mal exhibitionistisch, mal melancholisch zu reflektieren. Als der Körper schwächer, sein Feuilletonruhm zur fernen Erinnerung wurde und die Genußfähigkeit schwand, da bot ihm das „Secundäre“ keinen Lebensgrund mehr.

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