© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

EU-Friedenstruppe für die Ostukraine?
Der Kontinent ist in Gefahr
Bernd Posselt

Wer Frieden stiften will – oder zumindest einen Waffenstillstand –, muß zunächst einmal wissen, welche Kriegspartei welches Ziel verfolgt. Die Ukraine, die durch Überfall von außen in eine militärische Auseinandersetzung hineingezogen wurde, strebt die Integrität ihres staatlichen Territoriums an. Diese war ihr seit 1991 von Moskau immer wieder garantiert worden – so etwa bei Rußlands Austritt aus der Sowjetunion unter Jelzin, in der OSZE-Charta von Paris, im Memorandum von Budapest als Gegenleistung dafür, daß Kiew alle seine Atomwaffen abgegeben hat, und bei den beiden Abkommen über die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol. Moskau hatte also die Zugehörigkeit von Krim und Donezkbecken zur Ukraine nicht nur akzeptiert, sondern sogar feierlich versprochen, sie im Ernstfall gemeinsam mit dem Westen zu schützen.

Was aber will Putin, nachdem sein Rußland diese Verpflichtungen wiederholt eklatant gebrochen hat? Hier werden die abenteuerlichsten Legenden laut: Der Kreml sei von Einkreisungsängsten geplagt und müsse sich schützen; in Kiew regierten Faschisten; der Westen habe sich Anfang der neunziger Jahre verpflichtet, die Nato nicht weiter nach Osten auszudehnen, und die EU sei bestrebt, in aggressiver Weise neue Mitglieder zu werben. Nichts davon stimmt auch nur annähernd, doch der ehemalige KGB-Agent Putin hat zuerst die Presse im eigenen Land geknebelt und dann eine weltweite Propaganda-Offensive gestartet. Hemmungslos werden Nationalisten und Nationalpopulisten, Links- und Rechtsextremisten, aber auch enttäuschte Christen finanziert und politisch instrumentalisiert, um solcherlei Desinformation unter die Leute zu bringen.

Dabei macht ein Blick auf den Lebensweg des Präsidenten mehr als deutlich, was seine Ziele sind. Putin gewann im zerfallenden Jelzin-Regime die Macht, indem er den Frieden aufkündigte, den sein Vorgänger nach dem ersten Tschetschenienkrieg geschlossen hatte, und den zweiten entfesselte. Krieg war für ihn seit Beginn seiner Karriere ein zentrales Erfolgsrezept, das er auch 2008 erneut anwandte, um Georgien zu schwächen und Teile aus dieser Kaukasusrepublik herauszubrechen. Auch heute geht es ihm nicht nur um die Ukraine. Die russischsprachigen Bevölkerungsteile in den baltischen Staaten und in Polen, das nördliche Ostpreußen um Königsberg, die kriminell-militaristische Struktur Transnistrien und das Separatistengebiet Gagausien auf dem Gebiet der Republik Moldau, die an unseren EU- und Nato-Partner Rumänien angrenzt, aber auch Abchasien, Südossetien und Berg-Karabach sind potentielle Brandherde, die Putin jederzeit entfachen kann, wenn es seinem Ziel einer „Sowjetunion light“ oder einer von Moskau beherrschten „Eurasischen Union“ dienlich ist.

Vielleicht müssen die Europäer bald erkennen, daß man ein Land auf Dauer nicht mit warmen Decken verteidigen kann.

Deshalb darf sich eine europäische Friedensstrategie nicht einreden lassen, es gehe nur um einen begrenzten Konflikt. Es geht vielmehr um die Sicherheitsarchitektur des gesamten Kontinents. Deshalb muß das Völkerrecht statt demoliert systematisch gestärkt werden. Die EU ist im Eiltempo in eine starke außen- und sicherheitspolitische Gemeinschaft mit supranationalen Strukturen zu verwandeln. Die Nato braucht, wie schon Franz Josef Strauß gefordert hat, zwei Säulen, eine amerikanische und eine europäische. Die östlichen Mitglieder dürfen nicht länger als Bündnispartner zweiter Klasse behandelt werden.

Die Ukraine ist von seiten der EU mit viel Einsatz sowohl ökonomisch als auch politisch zu stabilisieren. Rußland muß, solange das jetzige Regime besteht, durch eine Mischung aus Druck und Verhandlungsangeboten soweit wie möglich eingedämmt werden. Dazu gehört auch eine Verschärfung der Sanktionen, falls Putin weiterhin alle Zusagen bricht, sowie die Stationierung von internationalen Friedenstruppen und OSZE-Beobachtern – nicht nur zwischen den Konfliktparteien in der Ostukraine, sondern vor allem entlang der gesamten ukrainisch-russischen Grenze. Waffenlieferungen, wie von den USA ins Spiel gebracht, sind bislang zu Recht unterblieben; sollte aber die Eskalation von Moskauer Seite weiter vorangetrieben werden, müssen auch die Europäer erkennen, daß man ein Land auf Dauer nicht mit warmen Decken verteidigen kann.

 

Bernd Posselt, Jahrgang 1956, MdEP a.D., ist Präsident der Paneuropa-Union Deutschland e.V. und Beauftragter der CSU für Ostmittel- und Osteuropa

Der für Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn erteilte dem Wunsch des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko eine Abfuhr. Eine bewaffnete Friedenstruppe der EU werde es in der umkämpften Ostukraine nicht geben. Zwar bezeichnete der Österreicher die dortige Lage als „sehr besorgniserregend“, sprach gar von einer „humanitären Katastrophe“, doch appellierte er an „alle Verantwortlichen, dafür zu sorgen, daß das Minsker Abkommen umgehend umgesetzt“ werde. Ziel der EU sei es, nach Einhalten des Waffenstillstandes und des Abzugs der schweren Waffen – wie in Minsk vereinbart – die OSZE-Beobachtermission (OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine) zu verstärken. Hahn unterstrich, daß die EU die Ukraine weiterhin wirtschaftlich unterstützen werde. Auch bei der Korruptionsbekämpfung und der Umsetzung der Reformen könne die Ukraine auf die Hilfe der EU zählen.

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