© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Bismarckversteher
Christian Vollradt

Wenn im Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestages ein wiederholter Hupton zu hören ist, bedeutet das weder Feueralarm, noch daß Einbrecher sich Zutritt verschafften. Das akustische Signal fordert lediglich die Abgeordneten zur Teilnahme an der namentlichen Abstimmung im Plenum des Reichstags auf.

So mußten sich am vergangenen Donnerstag die Gäste im Seminarraum (mit Blick auf die Spree) noch ein Weilchen gedulden, bevor Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) zur Buchvorstellung („Bismarck – Der Monolith“) und Diskussion über das Thema „Was bedeutet Bismarck für uns heute?“ erschien.

Für Altmaier steht klipp und klar fest, daß die moderne Staatlichkeit Deutschlands das Werk Otto von Bismarcks ist: „Der von ihm geschaffene Staat und die daran gebundene nationale Identität haben die verheerende Niederlage von 1918, das Ende der Monarchie, das Desaster von Weimar, die Zivilisationskatastrophe von 1933 bis 1945 und die deutsche Teilung überlebt.“ Trotz Kulturkampf, trotz Sozialistengesetz sei der Reichsgründer an den Maßstäben seiner Zeit bewertet einer der liberalsten und demokratischsten deutschen Politiker vor dem Ersten Weltkrieg gewesen, außerdem einer, der sich virtuos die Presse nutzbar gemacht habe.

Die Rolle als Altmaiers Sparringspartner war Peter Brandt, Emeritus für Neuere Geschichte an der Fernuniversität in Hagen, zugedacht. Der Spezialist für die Geschichte der Arbeiterbewegung wie auch für die Deutsche Frage machte jedoch von Beginn an klar, daß er nicht gedenke, den Reichskanzler zu verdammen. Im Gegenteil. Über die historische Bedeutung Bismarcks waren sich die Diskutanten im Prinzip einig, Brandts kritische Bemerkungen bezogen sich lediglich auf einige Details, bei denen ihm der „weiße Revolutionär“ nicht reformwillig genug war. So entspann sich im Zentrum des politischen Berlin kein heftiger, polarisiserender Schlagabtausch, sondern ein unterhaltsam-intellektuelles Pingpong, dem man mit Gewinn lauschen konnte.

Der Jurist Altmaier erwies sich dabei als ausgesprochen profunder Kenner der Materie, sprach wohltuend wenig wie ein Politiker, sondern diskutierte auf Augenhöhe mit den anwesenden Fachhistorikern. Ein Herzensanliegen war dem Minister („In meiner Wohnung hängt ein Bismarck-Porträt – und eins von Adenauer“) dabei, wie er betonte, mit einer Legende aufzuräumen: jener, wonach Bismarck außenpolitisch ein System erschaffen habe, das nur von ihm beherrscht werden konnte. Dies, so Altmaier, sei bloß eine faule Ausrede der Nachfolger, die an dieser Herausforderung scheiterten.

Fasziniert zeigten sich die Gesprächspartner nach wie vor von der Entwicklung, die der einstige preußische „Junker“ durchlebt hatte. „Bismarck war als Ministerpräsident die letzte Karte der Etablierten – und er hat sie alle überrascht“, so Peter Brandt. Und Altmaier ergänzt: „Politiker wandeln sich im Laufe der Zeit. Das sieht man bei Bismarck, bei Stresemann, aber auch bei Willy Brandt oder Helmut Kohl.“

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