© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Zeitschriftenkritik: Gehirn und Geist
Wie Werbung uns manipuliert
Karlheinz Weissmann

Es gibt eine Art konventionelles Mißtrauen gegenüber Werbung, das auf der Ansicht fußt, Reklame sage grundsätzlich die Unwahrheit oder verändere die Wahrheit so, daß sie nur mehr mit Mühe zu erkennen sei. Dieses Mißtrauen hat seine Gründe, es erscheint heute aber relativ schwach im Vergleich zu früheren Zeiten der Konsum- und Medienkritik. Dabei gäbe es gute Gründe, noch skeptischer als in der Vergangenheit auf die Methoden der Warenpropaganda zu blicken, die sich immer gründlicherer Kenntnisse unseres Seelenlebens und immer subtilerer Methoden der Manipulation bedient. Das ist jedenfalls den Hauptbeiträgen der neuen Ausgabe von Gehirn und Geist zu entnehmen.

Gehirn und Geist erscheint monatlich als eine Art Sonderpublikation der renommierten Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft, und in der Ausgabe 3/2015 geht es in zwei Aufsätzen und einem Interview um „Die Macht der Marken“, vor allem um die Konzepte des „Neuro-Marketing“, das heißt die Nutzbarmachung von Hirnforschung und Psychologie, die es den Unternehmen erlauben, das Kaufverhalten und die Produktwahrnehmung systematisch zu beeinflussen. Zentrale Bedeutung haben dabei nicht die klassischen Methoden des branding, also die Vorstellung des Produkts, dessen positive Präsentation und Verknüpfung mit einem Markenimage, sondern das Setzen unterschwelliger Impulse, die zu Entscheidungen führen, ohne daß der Vorgang vom potentiellen Käufer überhaupt registriert wird.

Die Verfasser der Beiträge weisen zwar auch auf die Grenzen solcher Manipulation hin – das Gerücht, Einblendungen von Coca-Cola-Werbung im Nanosekundenbereich während eines Kinofilms hätten einen verstärkten Konsum der braunen Limonade zur Folge, hat sich als falsch erwiesen –, aber deren Möglichkeiten bleiben doch irritierend groß. Denn erfolgreiche Marken setzen auf atavistische Verhaltensweisen, aktivieren das Belohnungssystem im menschlichen Gehirn, und die Allgegenwart der neuen Technologien eröffnet immer andere und immer zahlreichere Möglichkeiten des Zugriffs. Das gilt vor allem für die akustische Beeinflussung, der sich der Mensch schlechter als anderen Reizen entziehen kann. Auch die wird nicht dazu führen, unser Verhalten vollständig auf „Autopilot“ umzuschalten, aber sicher wird die Steuerung über „Pilot“ immer schwieriger.

Neben den erwähnten Beiträgen in Gehirn und Geist sei ausdrücklich hingewiesen auf ein Interview mit John R. Searle, einen der einflußreichsten politischen Philosophen der Gegenwart, das ebenso erhellend wie entlarvend wirkt, auf einen Beitrag über die kognitive Verhaltenstherapie als wirksamsten Ansatz zur Heilung psychischer Störungen und auf den interessanten Text des Kriminologen Adrian Raine, in dem er die zentralen Thesen seines aktuellen Buches zur genetischen Disposition von Gewaltverbrechern zusammenfaßt.

Kontakt: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Leserservice, Postfach 10 48 40, 69038 Heidelberg. Tel.: 062 21 / 91 26-743. Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, ein Jahresabo 85,20 Euro. www.spektrum.de

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