© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Gegen allzu viele alliierte Widerstände
Vor 25 Jahren: Beamte beider deutschen Staaten leiten die Zwei-plus-Vier-Gespräche ein
Jan von Flocken

Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 ertönte in der DDR das Begehren nach einer Wiedervereinigung. Statt „Wir sind das Volk!“ skandierten die Bürger nun immer öfter „Wir sind ein Volk!“ Vor allem nach den Volkskammerwahlen vom März 1990, bei denen die Einheitsbefürworter einen fulminanten Sieg errangen, stand die Frage der deutschen Einheit unmißverständlich auf der Tagesordnung. Da aber weder die DDR noch die Bundesrepublik – entgegen allen offiziellen Darstellungen – souveräne Staaten waren, sondern unter Vormundschaft der alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs standen, durfte dieses innerdeutsche Problem nicht von den Deutschen allein gelöst werden.

Nachdem Bundeskanzler Helmut Kohl mit Plänen für eine deutsche Konföderation auf vehementen Widerspruch stieß, wurde deutlich, welche Schwierigkeiten sich auftürmten. Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand hatte schon Ende November 1989 erklärt, er halte die Wiedervereinigung für eine „rechtliche und politische Unmöglichkeit“. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher, deren Antipathie gegen Deutschland sattsam bekannt war, warnte davor, die Deutschen würden wieder „die Führungsrolle einnehmen“ und bezeichnete Deutschland „vom Wesen eher eine destabilisierende als eine stabilisierende Kraft im europäischen Gefüge“.

Der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse behauptete, es gebe kein Land in Europa, das ein wiedervereinigtes Deutschland „nicht als Gefahr für die Stabilität der Nachkriegsordnung“ fürchte. Nur die USA standen dem Vereinigungsprozeß positiv gegenüber. US-Präsident George Bush senior erklärte: „Ich teile die Sorge mancher europäischen Länder über ein wiedervereinigtes Deutschland nicht, weil ich glaube, daß Deutschlands Bindung an und sein Verständnis für die Wichtigkeit des atlantischen Bündnisses unerschütterlich sind.“

Unter diesen Voraussetzungen setzte im Frühjahr ein reger Notenaustausch der beteiligten Mächte ein, die am 14. März zum Beginn der Zwei-plus-Vier-Gespräche in Bonn führten, zunächst noch auf Beamtenebene. Diese Gespräche bereiteten dann für den offiziellen Beginn auf höchster politischer Ebene am 5. Mai 1990 in Bonn den Boden – mit beiden deutschen Vertretern (Hans-Dietrich Genscher/West, Markus Meckel/Ost) und den Außenministern der vier Siegernationen, James Baker (USA), Eduard Schewardnadse (UdSSR), Douglas Hurd (Großbritannien) und Roland Dumas (Frankreich).

Helmut Kohl und seinen Beratern gelang es während dieser Gespräche, die Front der Vereinigungsgegner aufzubrechen. Die Franzosen köderte man vor allem mit dem Versprechen einer baldigen Währungsunion, wodurch der Kanzler freilich die harte D-Mark dem butterweichen Franc preisgab. Die Sowjetunion steckte mitten in einer existentiellen Krise von Wirtschaft und Politik. Zwischen 70 bis 100 Millionen Sowjetbürger lebten am Rande oder bereits unterhalb des Existenzminimums. Hier vermochte eine milliardenträchtige Wirtschaftshilfe der Bundesrepublik eine wirkungsvolle Rolle zu spielen.

Sowjetunion gab Forderung nach Neutralität auf

Kohl konnte im Verlauf der Verhandlungen zunehmend selbstbewußter auftreten. Nach einem Treffen der Zwei-plus-Vier-Teilnehmer in Berlin am 22. Juni setzte er bereits den Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion beider deutscher Staaten am 1. Juli in Kraft, eine entscheidende Stufe zur Wiedervereinigung. Beim UdSSR-Besuch des Kanzlers, vor allem während der demonstrativ lockeren Gespräche am 15. und 16. Juli im Kaukasus, konnten die letzten außenpolitischen Hürden genommen werden. Michail Gorbatschow erklärte am 16. Juli, das wiedervereinigte Deutschland solle uneingeschränkte Souveränität erhalten und sei künftig frei in allen Bündnisangelegenheiten. Damit gab er die 45 Jahre gültige Konstante sowjetischer Außenpolitik auf, welche nur ein neutrales Deutschland zugestehen wollte.

Das dritte Treffen in Paris stellte am 17. Juli endgültig die Weichen; nachdem die USA, die Sowjetunion und Frankreich sich für die Wiedervereinigung ausgesprochen hatten, mußten auch die Briten nachgeben. Am 12. September 1990 wurde in Moskau der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ unterzeichnet. Darin erklärten die ehemaligen Kriegsgegner das „Ende aller Vorbehaltsrechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland“, was noch einmal klarstellte, daß beide deutschen Staaten zuvor nicht souverän gewesen waren. Der Artikel 1 betonte: „Das vereinigte Deutschland und die Republik Polen bestätigen die zwischen ihnen bestehende Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag. Das vereinte Deutschland hat keinerlei Gebietsansprüche gegen andere Staaten und wird solche auch nicht in Zukunft erheben.“ Dem folgte ein Verzicht auf Herstellung oder Besitz von Atomwaffen sowie auf das Führen von Angriffskriegen.

Nachdem auf diese Art „Deutschland einig Vaterland“ mit internationaler Billigung vonstatten gegangen war, setzte bald Ernüchterung ein. Nur einen Tag nach der großen Einheitsfeier vom 3. Oktober 1990 sagte Willy Brandt, Alterspräsident des Bundestages, in der ersten Sitzung des gesamtdeutschen Parlaments: „Die Gesamtheit der Staats- und Wahlbürger sollte in die Entscheidung über die verfassungsmäßige Grundlage unserer gemeinsamen staatlichen Existenz einbezogen werden, das heißt, wenn es soweit ist: Volksabstimmung über das bereinigte und ergänzte Grundgesetz.“ Diese Forderung ist seit 25 Jahren Makulatur.

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