© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Smartphone-Generation an der Front
Eine App des Volksbundes soll Jugendliche für die Geschichte des Ersten Weltkrieges begeistern
Heiko Urbanzyk

Wer Geschichte unters Volk bringen und dort im Gedächtnis fest verankern möchte, braucht bewegende Erzählungen über Familien und Einzelpersonen, die es wirklich gab. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) erkannte die Zeichen der Zeit und bietet die App „Lost Generation“ an: einen Erlebnisritt durch die Zeit der verlorenen junge Generation, „die im Ersten Weltkrieg lebte, litt und starb“ wie der VDK mitteilt.

Warum?

Oh Gott, warum?

Auf Apple iOS und Android können Weltkrieginteressierte zwischen fünf Avataren und ihren persönlichen Kriegsschicksalen wählen. Der VDK benennt genau, auf welchen historischen Quellen diese beruhen. „Auch wenn wir einen Game-Designer bei der Gestaltung um Unterstützung gebeten haben, ist mir eines ganz wichtig: ‘Lost Generation’ ist kein Spiel, sondern eine echte Zeitreise in unsere Vergangenheit“, stellt VDK-Präsident Markus Meckel klar.

Etwa 120 Minuten Videomaterial sowie rund 700 Einzelbilder mit Begleittexten werden mit der App präsentiert. Diese ist so ausgelegt, daß die Nutzer sich für einen Avatar entscheiden und mit ihm den Ersten Weltkrieg mittels kurzer Videosequenzen, zahlreicher Bild- und Textdokumente erfahren können.

Der jüdischstämmige Gymnasiast Ezechiel Hasgall erfährt schon als Schüler in Gailingen/Bodensee antisemitische Anfeindungen. Der Krieg ereilt ihn als Student des Rabbinerseminars in Berlin. „Die meisten von uns brennen darauf, für das Vaterland in den Krieg zu ziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir Juden oder Christen sind“, erklärt die jugendliche Stimme des Hasgall-Avatars. „Ein paar Tage an der Front, jede Minute kann die letzte sein. Die oder wir – nur darum geht es.“ 1915 wird Ezechiel als Infanterist eingezogen und an die Westfront geschickt. Dort dient er als einer von 100.000 deutschen Soldaten jüdischen Glaubens.

„Ich heiße Marie Stier. Ich bin eine Diakonisse“, stellt sich ein weiterer Avatar vor. Anfang 1915 kommt sie mit dem Roten Kreuz an die Ostfront. Bis zum Kriegsende 1918 arbeitet sie in über 30 Lazaretten an allen Fronten. Einzig ihr Glaube an Gott hilft ihr, die Erlebnisse zu verkraften. Das nahende Kriegsende erlebt sie an der Westfront. „Fluchtartig ist unser Weggang. Wie so ganz anders hatte man sich die Heimkehr gedacht? Nach vier schweren Kriegsjahren! Aber Du, Gott, hast es zugelassen und wir wollen Dir vertrauen. Obgleich das Herz nun wieder bang und schwer fragen möchte: Warum? Oh Gott, warum?“

Der 13jährige Schüler Wilhelm Fries feiert 1914 mit seinen Klassenkameraden nach der Schule jeden Sieg der kaiserlichen Armee. Das Klagen eines alten Bergmannes über die Zahl der Toten will er nicht hören. „Wir lassen ihn stehen, den alten Miesmacher, und gehen zu den anderen, um unseren Sieg zu feiern.“ Während Wilhelm an der Heimatfront Artilleriegranaten produziert, fallen seine drei älteren Brüder im Gefecht. Die jugendliche Lust am Siegefeiern wird im Kriegsalltag erstickt.

Aufgeteilt in fünf Akte, können Nutzer die Avatare durch den Krieg begleiten. Die bunte Welt der Apps wird vermischt mit historischen Dokumenten. Videos informieren über besondere Themen wie etwa „Kriegsbeginn“ und „Heimatfront“. Diese Informationen werden mit zahlreichen Bildern und Textinformationen ergänzt. „Eine Europakarte verdeutlicht die europäische Dimension des Weltkrieges und zeigt zugleich die beteiligten Staaten wie auch wichtige Orte des Kriegsgeschehens“, erklärt der VDK.

Der VDK wünscht sich, daß Jugendliche im Unterricht Arbeitsgruppen bilden, die mit jeweils einem Avatar den Ersten Weltkrieg aus unterschiedlichen Blickwinkeln kennenlernen und sich anschließend gegenseitig ihre Ergebnisse berichten.

Ob West-, Ost- oder Heimatfront: „Dank der multimedialen Präsentation auf vor allem bei jungen Menschen sehr beliebten Smartphones und/oder Tablets kann ein spannender und abwechslungsreicher Unterricht gestaltet werden“, frohlockt der Verband aus Kassel. App und Smartphone statt Buch und Tafel? Der VDK hat die Zeichen der Zeit erkannt.

Foto: App des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge: 120 Minuten Videomaterial sowie 700 Einzelbilder mit Begleittexten werden präsentiert

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