© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Kegelfiguren der Sieger
Silke Satjukow und Rainer Gries über das Schicksal der Kinder von alliierten Soldaten und deutschen Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg
Günter Scholdt

Fast zeitgleich erschienen soeben Miriam Gebhardts (Porträt Seite 3) „Als die Soldaten kamen“ und „Bankerte!“ von Silke Satjukow und Rainer Gries. Auch dieser peinliche Teil deutscher „Befreiungs“-Geschichte entweicht also langsam der Tabuzone befürchteter „Aufrechnung“. Satjukows und Gries’ 400-Seiten-Bericht über Besatzungskinder in Nachkriegsdeutschland ist ein wichtiges Buch und eine zuweilen bedrückende Lektüre zugleich. Es handelt vom Martyrium deutscher Frauen, deren Sexualkontakte mit alliierten Soldaten in Schwangerschaften mündeten, sowie der zumindest anfangs verbreiteten Stigmatisierung ihrer Kinder.

Zur Sprache kommen Massenvergewaltigungen (auch im Westen) und teils hilflose, teils pragmatische, teils besorgt-restriktive Reaktionen von Behörden und Kirchen darauf. Das galt etwa für Abtreibungslizenzen, die meist penible Begutachtungen erforderten, desgleichen bei gewünschter Wiedergutmachung, die zudem äußerst spät erfolgte oder skandalösen Beschränkungen unterlag. Wir erfahren von massiv unterlaufenen Fraternisierungsverboten, von Ressentiments der Bevölkerung gegenüber „Schokoladenhuren“, von weiblicher Liebessehnsucht nach ungebrochenen Siegertypen bei weithin illusionären Heiratsträumen. Generell war es aussichtslos, Soldatenväter zu Unterhaltszahlungen zu zwingen. Die abschließende höchstrichterliche Entscheidung der USA darüber datiert übrigens noch von 1970. Auch ergaben sich diverse Alltagstragödien, wenn Ehemänner „Kuckuckskinder“ im Familienverband nicht dulden wollten.

Ein besonderes Kapitel betrifft die „Enfants d’État“, Kinder französischer Erzeuger, die nach eugenischer Auslese im Rahmen eines geheimen Bevölkerungsprogramms zur Adoption nach Frankreich transferiert wurden. Als man es 1949 einstellte, entsorgte man zugleich deutsche Archivalien darüber, was diesen Sektor der Besatzungs- zu einer Art Kriminalgeschichte werden läßt.

Ein weiterer Blick gilt ergreifenden Außenseiterschicksalen vieler Kinder. Von ihren seelischen Verletzungen erzählen Kurzbiographien auf der Basis von Interviews. Leider fehlen Gegenbeispiele, die das fraglos dominierende Opferschema etwas weniger pauschal oder stereotyp erscheinen ließen. Schließlich gelangen die Verfasser zur Schlußbilanz, daß die Besatzungskinder durch Gemeinsamkeiten etwa im Schul- und Berufsalltag zum interkulturellen Lernen und zur Liberalisierung des Landes beigetragen hätten. Auch dem Rezensenten stehen übrigens weniger traumatische Sozialisierungen vor Augen.

Ausgewertete (Schul-)Akten, Kontroversen oder Medienberichte illustrieren Probleme und die besondere Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit Mulattenkindern, bevor sich das Verhältnis allmählich normalisierte. Robert Stemmles um Sympathie werbender Film „Toxi“ (1952) verfolgt noch den Repatriierungsansatz, der bald zugunsten der Integrationslösung aufgegeben wurde.

Bei der Erörterung heikler Details wünschte man sich zuweilen, daß nicht jede Unbeholfenheit oder kurzschlüssige Äußerung gleich mit heutiger Korrektheitsstrenge verurteilt werde. Von Historikern erwartet man eine stärkere Berücksichtigung des Zeitrahmens, nicht zuletzt, wo das Gros der Deutschen mit Afrikanern lediglich unter unerfreulichen Umständen bekannt geworden war: in den Weltkriegen oder der jeweils folgenden Besatzung.

Zu Recht werden die zeitgenössischen Diskussionen und Akzeptanzbemühungen gegenüber Farbigen als nachgeholte „Bewältigung“ der Judenmorde verstanden. Dabei stehen die Verfasser offenbar selbst noch im Bann dieses alles grundierenden Schulddiskurses. Dies erklärte zumindest die gegen Ende zunehmende moralistische Penetranz und interpretatorische Engführung. Definiert man doch alles, was von aktuellen multikulturellen Normen abweicht, als unheilvolles NS-Erbe oder „Rassismus“. Ein gesellschaftspolitischer Kompaß, dessen Nadel gegenwärtig schon ausschlägt, wenn nur Fremdheit benannt oder ungeschickt formuliert wird.

Solche Deutungsmuster verlieren mehr und mehr ihre Tauglichkeit, wenn es um die Vorbehalte gegenüber Ami-, Franzosen- oder Briten-„Liebchen“ geht. Denn solche Abneigungen sind sinnvollerweise nur im Rahmen weltweiter (vermutlich anthropologischer) Reaktionsmuster zu begreifen, die wohl auch künftig noch vielfach Bestand haben. Die weit größere Brutalität, mit der man beispielsweise in Frankreich, Italien, Holland oder Norwegen mit „Germanen-Gretchen“ und ihren Kindern verfuhr, läßt, jenseits von jeglicher NS-Affinität, auf viel grundsätzlichere Provokationen schließen.

Über Jahrhunderte hinweg mißgönnt der jeweilige Verlierer, dem Sieger auch noch die weibliche „Beute“ einzubringen, was die Niederlage endgültig besiegelt. Und der Aussöhnungsgrad zwischen Völkern mißt sich vornehmlich an der Unanstößigkeit transnationaler Geschlechtsbeziehungen. Solches Empfinden bestätigt sich auch von der Gegenseite her: Das Buch zitiert einen englischen Leutnant, der das gängige Bewußtsein seiner Kameraden formulierte: Man requiriere vom geschlagenen Feind nun mal eben „ihre Pferde, ihre Mercedes und ihre Frauen“.

Mag also die Hingebungsbereitschaft mancher junger Frauen heutiger Libertinage als Emanzipation ihrer Sexualität und Befreiung aus nationalem Denken erscheinen: Eine Generation, die auf Minimalversorgung beschränkt blieb und deren überwältigende Mehrheit daher hungerte, fror, der Verachtung und Willkür ihrer Besatzer ausgesetzt war, sah dergleichen „Versorgungsprostitution“ nicht ganz unbegreiflich als entsolidarisierenden Sittenverfall, sowenig diese Klassifizierung auch Einzelfällen gerecht wurde.

Die schlimme Nachkriegszeit legt Zurückhaltung bei Moralurteilen nahe, ein Bewußtsein von Tragik und Ambivalenz. Sie fordert Historiker, deren Empathie nicht auf geschichtspolitisch legitimierte Opfergruppen beschränkt bleibt. Der Einwand trifft weniger die geschilderten Sachverhalte als manchen Zungenschlag ihrer Kommentierung. Doch genug davon angesichts eines Buches, der zweifellos Qualitäten und Verdienste besitzt.

Silke Satjukow, Rainer Gries: „Bankerte!“ Besatzungskinder in Deutschland nach 1945. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2015, gebunden, 415 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

Foto: Farbiges Besatzungskind mit Schulfreundin in den fünfziger Jahren: Die weibliche „Beute“ für den Sieger einzubringen besiegelte die Niederlage endgültig

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