© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Eine Firma ist kein Fischschwarm
Im Tierreich funktioniert Schwarmverhalten, beim Menschen eher weniger. In Unternehmen geht das gar nicht, wie der Mathematiker Gunter Dueck meint
Bernd Rademacher

Schwarmverhalten ist ein erstaunliches Naturphänomen. So sind zum Beispiel Fischschwärme ohne zentrale Steuerung zu komplexen Manövern fähig. Kraniche profitieren bei ihrer markanten V-Formation von günstigen Luftströmen. Ein Ameisenvolk findet automatisch ohne Lenkung den optimalen Weg zwischen Nest und Futterquelle, obwohl die einzelne Ameise für diese Leistung viel zu dumm wäre.

Das Abschauen solcher natürlichen, sich selbst organisierenden Netze bietet für uns Menschen vielseitige Anwendungsmöglichkeiten, etwa im Fahrtenmanagement von Speditionen oder in der Lagerlogistik. Unter dem Stichwort „Bionik“ werden solche Algorithmen bereits in großen Unternehmen wie bei Daimler bereits benutzt.

Doch auch wir Menschen selbst legen Schwarmverhalten an den Tag. Zu beobachten bei der Entstehung von Trampelpfaden. Oder bei Reisegruppen: Geht einer zielgerichtet voran, folgen die übrigen im Vertrauen, daß der da vorne wohl schon Bescheid weiß.

Doch während Tiere in der Masse meist zu besseren Ergebnissen kommen, als das einzelne Exemplar, geht das bei uns Menschen oft daneben. Ein Beispiel sind Autofahrer, die Umleitungsempfehlungen nicht glauben und lieber hinter den anderen herfahren, bis die Blechschlange zum Stillstand kommt. Wohin dieses Verhalten bei Börsenanlegern führt, konnte man beim Crash des „Neuen Marktes“ um die Jahrtausendwende studieren.

Der 64jährige Mathematikprofessor und frühere IBM-„Cheftechnologe“ Gunter Dueck rechnet in seinem Buch „Schwarmdumm“ kritisch mit menschlichem Herdenverhalten in Unternehmen ab. Der streitbare Querdenker veröffentlicht regelmäßig Kolumnen und Bücher über die Unzulänglichkeiten in der Firmenkultur.

Diese sind in allen Branchen dieselben: sozial inkompetente Chefs, überforderte Mitarbeiter, Unzufriedenheit und Mobbing, stockende Prozesse, an die sich alle gewöhnt haben. Während die individuelle Dummheit der Ameise im Kollektiv zur Intelligenz wird, wird die individuelle Intelligenz des Menschen im Kollektiv zur Dummheit.Wieviel Zeit wird in endlosen Konferenzen, Jourfixen oder Mitarbeitergesprächen verplempert, obwohl die Arbeit schon im Verzug ist? Wieso breiten sich schwachsinnige Phrasen und Floskeln („Wir müssen die Schlagzahl erhöhen“, „Work-Life-Balance“ etc.) in Betrieben mit der Geschwindigkeit von Pockenviren aus? Warum bricht alle Jahre wieder in Abteilungen das „Dezemberfieber“ aus, obwohl alle Wissen, daß es Quatsch ist? Muß immer alles in „Teams“ erarbeitet werden, obwohl manchmal einzelne Fachleute viel effektiver zum Ziel kommen?

Dueck ärgert sich: „Die Haltung, alle Probleme außer der Gewinnmaximierung einfach abzuwimmeln, zu verstecken oder zu übertünchen, ist eine sprudelnde Quelle großer Schwarmdummheit – ein Unternehmen verlangt beim Gewinn Note Eins, ansonsten reicht Note Vier.“ Dasselbe kann man auch auf die Politik anwenden.

Der Tierschwarm nutzt mehr Information, als das Einzelwesen sammeln kann. Beim Menschen ist genau dies das Problem: Der Einzelne kennt nur seinen momentanen Teilbereich und versteht den Gesamtzusammenhang nicht. Dueck schreibt, das Dilemma in den Unternehmen sei, daß „das Ganze“ keinen Willen entwickelt. „Gegenseitig rechenschaftspflichtige Zahlenkrieger halten sich gegenseitig in Schach, wie einst die Grabenkrieger vor Verdun“, beschreibt er den Zustand in den Management-Etagen.

Doch entgegen Duecks Analysen sehen Social-Media-Romantiker wie der Medienunternehmer Frank Otto (Otto-Versand) das Internet als Wunderding an, das den Menschen doch schwarmintelligent macht, da die Netzgemeinde mehr Information akkumuliere, als die Nutzer beisteuerten. Das ist im wahrsten Wortsinn „Schwärmerei“, denn die angebliche Schwarmintelligenz im Internet zeigt sich vor allem in Shitstorm-Meuten, die sich in Windeseile ohne tiefere Sachkenntnis und persönliche Betroffenheit zu Empörungsmobs zusammenfinden. Und die größte Schwarmdummheit manifestiert sich nicht selten in einem urdemokratischen Prozeß – beim Wählerverhalten.

Gunter Dueck: Schwarmdumm. So blöd sind wir nur gemeinsam. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2015, gebunden, 324 Seiten, 24,99 Euro

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