© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Wortmeldungen aus der besten aller möglichen Welten
Wenn versierte Konformisten über Mitläufer richten: Martin Heidegger und die Philosophie in der NS-Zeit
Jürgen Haupt

Im Alter von 70 Jahren wurde Sokrates (469–399 v. Chr.) von den Herrschern Athens der Verleitung der Jugend angeklagt und zu Selbsthinrichtung verurteilt. Hegel fand für den Tod des Sokrates die einprägsamste Deutung, um im griechischen Wahrheitssucher das Leitbild jedes Philosophen zu erkennen, wenn er ihn als Vertreter einer höheren Idee würdigte, der an der unvermeidlichen Schuld der „Verletzung des Bestehenden“ zugrunde gegangen sei.

Flüchtiges Blättern in der Philosophiegeschichte lehrt, daß Denker in dessen Nachfolge tatsächlich gefährlich lebten. Wenn sie auch für ihre kritischen Überzeugungen selten sterben mußten wie der auf dem Scheiterhaufen verbrannte Giordano Bruno, so entgingen die wenigsten Berufs- und Publikationsverbot, Ächtung, Exil. Im 20. Jahrhundert machten viele aus dieser Not eine Tugend. Das Negative sei das Positive, resümierte 1979 der zur frühen „Frankfurter Schule“ zählende, 1933 emigrierte Leo Löwenthal. Den Philosophen zeichne gerade das „Bewußtsein des Nichtmitmachens, des Verweigerns“ aus, das ihn zur „unerbittlichen Analyse des Bestehenden“ befähige. Seine Erinnerungen veröffentlichte Löwenthal daher unter dem trotzig-stolzen Titel „Mitmachen wollte ich nie“.

Heute ist vom abendländischen Ethos dieses Nonkonformismus, dem Erbe des Sokrates, in der geistig toten bundesdeutschen Denkerzunft nichts übrig. Man riskiere die Probe aufs Exempel und suche nach nur einem Text eines Philosophiebeamten, der etwa fundamentale Kritik an politischen Großprojekten der Bundesrepublik wie „Europa“ oder „Einwanderung“ enthielte. Die absehbare bibliographische Fehlanzeige ist ein untrügliches Indiz für die autistische Akkommodation einer Mitmacher-Generation, die mit Leibniz meint, in der besten aller möglichen Welten angekommen zu sein.

Um sich überhaupt noch „kritisch“ profilieren zu können, denunziert man daher gern Altvordere als Opportunisten schlimmeren Zuschnitts. Vor allem deren „intellektueller Verrat in der Nazi-Ära“ taugt vorzüglich als düsteres Kontrastprogramm zum eigenen Gutmenschentum. Nach diesem Muster ist auch das Sonderheft „Die Philosophen und der Nationalsozialismus“ des Philosophie Magazins (3/2015) gestrickt. Umrahmt von zeitgenössischen Texten steht dort wie üblich Martin Heidegger als Galionsfigur der „Naziphilosophie“ im Zentrum.

Hilfreich in der laufenden Debatte über Heideggers „Schwarze Hefte“ (JF 18/14) ist lediglich Sidonie Kellerers (Universität Siegen) Demontage von deren Editor Peter Trawny. Dessen groteske Aussagen über den die „Protokolle der Weisen von Zion“ rezipierenden Heidegger übertrumpft Kellerer hingegen mit bizarren Exegesen um einiges. So habe der Seinsdenker 1938 „Presse und Rundfunklärm“ bezichtigt, wesentliche Besinnung zu unterdrücken. Hier äußere sich „im damaligen Kontext klar erkennbarer Antisemitismus“. Aha, der Herr Professor fühlte sich also 1938 weiterhin von fest in jüdischer Hand befindlichen Medien gestört, soll das wohl heißen. So macht Rekonstruktion von Kontext richtig Spaß.

Kultivierte „Denkformen“ mündeten im Völkermord

Da spart man sich die Mühe besser gleich ganz, wie Per Leo (Berlin), der eine von allen politischen und sozioökonomischen Zusammenhängen abgelöste, von Philosophen und Künstlern kultivierte „Denkform“ des „Rassenantisemitismus“ kreiert, die wie ein Geist über den Wassern schwebt, bis daraus „eine nicht direkte Ursache des Völkermords“ wird.

Die Hohe Schule der Komik freilich beherrscht bei diesem Thema allein Hans Jörg Sandkühler. Ihm sei bis 1990 verborgen geblieben, was für ein Mitläufer Joachim Ritter war, der ihn 1967 in Münster promovierte. Es habe „vor 1968 keinen politischen Diskurs an den Universitäten“ gegeben. Es fehlte an Hinweisen, „wie nationalsozialistisch“ Ritter & Co. bis 1945 dachten.

Schon ein Blick in den Katalog der Münsteraner Unibibliothek hätte ihn da aufgeklärt. Doch als früh trainierter Anpasser wollte es Sandkühler erst genauer wissen, als die Karriere gesichert war. Und für alle Wechselfälle der Geschichte hielt sich der versierte linksliberale Konformist derweil den Draht „nach drüben“ offen – wie Sandkühlers diesem herzlich zugeeignete Widmungsexemplare aus dem Nachlaß des SED-Chefideologen Manfred Buhr dokumentieren.

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