© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Auf die Spitze getrieben
Richtungsstreit: In der Auseinandersetzung um die künftige Ausrichtung ruft AfD-Chef Bernd Lucke seine Partei zur Mäßigung auf
Marcus Schmidt

Ulrike Trebesius ballt die Fäuste. Ihre Stimme bebt. „Diese Herrschaften unterstellen uns, denn wir alle sind diese Partei, ein fehlendes Bekenntnis zu einer politischen Wende in diesem Land? Ja, hört mal, liebe Freunde, wofür sind wir denn in den vergangenen zwei Jahren auf die Straße gegangen!“ sagt die Europaabgeordnete der AfD und alle in der Kieler Sparkassen-Arena wissen, gegen wen sich Trebesius‘ Zorn richtet. „Diese Herrschaften“, das sind der Thüringer Fraktionschef Björn Höcke, Sachsen-Anhalts Landesvorsitzender André Poggenburg und AfD-Vize Alexander Gauland, die als Initiatoren beziehungsweise Erstunterzeichner der „Erfurter Resolution“ (JF 13/15) der AfD seit knapp zwei Wochen einen heftigen Richtungsstreit bescheren. Trebesius wirft ihnen vor, mit ihrer Resolution das Geschäft des politischen Gegners zu betreiben und damit das „Kartell der etablierten Parteien“ zu unterstützen.

Ihre aufgebrachte Reaktion auf dem Landesparteitag der AfD in Schleswig-Holstein am vergangenen Wochenende macht deutlich: In der AfD geht es jetzt ans Eingemachte. Während es in den vergangenen Monaten vor allem um die Struktur der künftigen Parteiführung ging, wenn sich die Mitglieder des Bundesvorstandes wieder einmal in den Haaren lagen, wird jetzt um das Selbstverständnis der Partei und ihrer führenden Repräsentanten gerungen. Vor allem der in der Resolution indirekt gegen die Parteispitze erhobene Vorwurf des „Technokratentums“, der „Feigheit“ und des „Verrats an den Interessen unseres Landes“ ist in der Partei teilweise mit Empörung aufgenommen worden.

„Wir lassen uns nicht Feigheit und Verrat an den Interessen unseres Landes vorwerfen. Wer solche Vorwürfe erhebt, überschreitet Grenzen und spaltet die Partei“, lautet denn auch ein Kernsatz der „Deutschland-Resolution“, die am Mittwoch vergangener Woche als Reaktion auf die „Erfurter Resolution“ veröffentlicht worden war. Durch sie wurde, was als das Aufbegehren des rechten Flügels der Partei begonnen hatte, endgültig zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung um den künftigen Kurs. „Die Partei steht vor einer Zerreißprobe“, sagte der AfD-Co-Vorsitzende Konrad Adam angesichts der Eskalation der JUNGEN FREIHEIT.

Zu den Initiatoren der Gegenresolution gehören neben Trebesius ihre Brüsseler Parlamentskollegen Hans-Olaf Henkel, Joachim Starbatty und Bernd Kölmel. Sie alle stehen für einen wirtschaftsliberalen beziehungsweise gemäßigt konservativen Kurs der Partei und gehören zum Lager von Parteichef Bernd Lucke. Dieser griff am Wochenende mit einem Rundbrief an die Mitglieder in den Richtungsstreit ein. „Ich möchte sehr deutlich sagen, daß Flügelkämpfe das letzte sind, was die AfD braucht“, schrieb Lucke und rief gleichzeitig die Initiatoren der „Erfurter Resolution“ dazu auf, sich angesichts der von ihnen formulierten „schwersten Vorwürfen gegen die Parteiführung“ wie „Feigheit“ und „Verrat“, verbal zu mäßigen.

Derartige Formulierungen empfinde er als sehr verletzend. Doch auch inhaltlich ging Lucke mit dem Papier scharf ins Gericht. „Die Erfurter Resolution atmet den Geist einer grundsätzlichen Systemkritik bei gleichzeitiger Verengung der politischen Stoßrichtung auf wenige Themen, die mit Schlagworten wie Gender, Multikulti und ‘Gesellschaftsexperimente’ beschrieben werden.“ Vom breiten Themenspektrum der heutigen AfD sei nichts mehr zu spüren, sagte Lucke unter anderem mit Verweis auf die in der Resolution fehlende Euro-Kritik sowie die Familien- und Wirtschaftspolitik: „So kann ich mir die AfD nicht vorstellen.“

Brandenburgs Fraktionschef Alexander Gauland, der die „Erfurter Resolution“ als einer der ersten unterzeichnet hatte, teilt Luckes Kritik nicht. „Vor einem Jahr hätten wir die alle gemeinsam unterschrieben“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Nicht die Resolution sei das Problem, sondern das tiefe Mißtrauen, das mittlerweile zwischen allen Beteiligten in der AfD herrsche. „Wenn ich auf die Straße gehe und sage, die Sonne scheint, kommt ein anderer und sagt: nein, es regnet“, verdeutlicht Gauland die Stimmung.

Unterdessen ist hinter den Kulissen längst das Rennen um eine Kandidatur für den neuen Bundesvorstand voll entbrannt. Angesichts der inhaltlichen und zwischenmenschlichen Verwerfungen an der Parteispitze scheint es dabei nicht mehr ausgeschlossen, daß Luckes Kritiker auf dem Parteitag im Juni einen Gegenkandidaten für die Wahl zum Parteichef ins Rennen schicken. Die Initiatoren der „Deutschland-Resolution“ fordern Björn Höcke dazu sogar regelrecht auf. „Wir fordern daher den Wortführer der Erfurter Erklärung auf, gegen Bernd Lucke für den künftigen Vorsitz der AfD zu kandidieren. Feige ist, wer sich und seine Art der Politik nicht als Alternative anbietet. Mehrheit siegt“, heißt es in der Resolution. Doch in der Partei gilt derzeit als sicher, daß Höcke gegen Lucke chancenlos wäre.

Mitglieder sollen für Parteitag spenden

Anders sähe es im Fall einer Kandidatur Frauke Petrys aus. Doch dies erscheint zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich. In der AfD ist genau registriert worden, daß Petry sich in der aktuellen Auseinandersetzung äußerst bedeckt gehalten hat. Die „Erfurter Resolution“ hat sie ganz bewußt nicht unterschrieben – im Gegensatz zu Gauland, dem sie politische nahesteht.

Ein weitere Führungsfigur, der grundsätzlich eine Kandidatur gegen Lucke zugetraut wird, ist Marcus Pretzell. Besser gesagt: er war es. Denn der Bundesvorstand hat am vergangenen Freitag eine Untersuchungskomission eingesetzt, die bis Mitte April im Zusammenhang mit einer Steueraffäre Pretzells, bei der auch ein Parteikonto gepfändet wurde, gegen den Landesvorsitzenden von Nordrhein-Westfalen ermitteln soll. Vom Ausgang dieser Untersuchung hängt die weitere Parteikarriere des Europaabgeordneten ab.

Doch unabhängig davon sind die unterschiedlichen Lager längst dabei, ihre Truppen für den Parteitag im Juni zu sammeln und Mehrheiten zu organisieren. Der Bundesvorstand hat in der vergangenen Woche zudem beschlossen, anders als ursprünglich geplant, keinen Delegierten- sondern einen Mitgliederparteitag einzuberufen. Einzige Voraussetzung: Die hierdurch anfallenden Mehrkosten in Höhe von 150.000 Euro müssen durch Spenden der Mitglieder finanziert werden.

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