© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Der Wille zur Macht schweißt zusammen
Hessen: Seit gut einem Jahr regieren in Wiesbaden CDU und Grüne zur Verwunderung der Opposition relativ geräuschlos
Christian Schreiber

Florian Rentsch wundert sich in diesen Tagen. Bis vor gut einem Jahr amtierte der FDP-Politiker als Wirtschaftsminister einer schwarz-gelben Koalition in Hessen. Nun führt er die Rest-Fraktion der Liberalen im Wiesbadener Landtag. Von der harten Oppositionsbank aus muß er mit ansehen, daß Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) nun mit den Grünen regiert.

Und dies überraschend geräuschlos, fast schon harmonisch. Rentsch erklärt dies damit, daß Bouffier als Merkel-Stellvertreter in der Bundes-CDU längst über die hessischen Landesgrenzen hinausdenke: „Volker Bouffier hat ja hier die große Planung, Schwarz-Grün im Land zu etablieren, um es auch als Bundesmodell zu ermöglichen“, sagte er dem Deutschlandfunk. Dennoch ist Verwunderung zu spüren, wenn die Opposition den fast schon herzlichen Umgang zwischen Bouffier und seinem Stellvertreter Tarek Al-Wazir beobachtet. Noch kurz vor der Wahl im Herbst 2013 hatten die Grünen den Ministerpräsidenten als „Rechtspopulisten“ beschimpft. Heute ist davon nichts mehr zu spüren.

Dort, wo die Union über Jahrzehnte als besonders konservativ galt und die Grünen als besonders fundamentalistisch, herrscht heute Einigkeit. „Das erste Jahr der schwarz-grünen Koalition war ein gutes Jahr für Hessen“, sagt Landesvater Bouffier. Und Al-Wazir spricht von einem „gemeinsamen Willen der Landesregierung, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken“.

Die Abstimmung in Hessen, die parallel zur Bundestagswahl stattfand, hatte Modellcharakter. Die Grünen hatten jahrelang argwöhnisch betrachtet, wie die SPD auf Bundesebene immer schwächer wurde. Zudem steckt ihr das Desaster um die ehemalige Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti noch in den Knochen. Diese hatte 2008 mit Hilfe eines rot-rot-grünen Bündnisses versucht, den damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch abzulösen. Doch vier Abgeordnete aus den eigenen Reihen verweigerten ihr die Gefolgschaft. Bei den anschließenden Neuwahlen siegte die Union haushoch, SPD und Grüne fanden sich erneut auf den harten Oppositionsbänken wieder.

SPD und Linke dreschen auf die Grünen ein

„Die Grünen waren der Meinung, daß sie nur mit der CDU in die Regierung kommen könnten. Das hat nichts Modellcharakter, sondern höchstens mit Charakter zu tun“, ätzte unlängst der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer Gümbel. Er vergleicht das erste Jahr von Schwarz-Grün mit einem „Schlafwagen“. Die Grünen hätten Verrat an früheren Idealen begangen, zum Beispiel beim kommunalen Finanzausgleich, der das Land auf Kosten der Städte und Gemeinden saniere. Vor allem aber zeigt sich die SPD enttäuscht, daß die Grünen einem Untersuchungsausschuß zum NSU ihre Zustimmung verweigerten. Nun kommt der Ausschuß ohne Zustimmung der Grünen; für Schäfer-Gümbel ein „Kainsmal“ in der Geschichte der Grünen, wie dem ZDF erklärte.

Interessant ist die Tatsache, daß sich die Opposition nicht an den traditionellen Gegnern abarbeitet, sondern eher am „Feind im eigenen Bett.“ SPD und Linke dreschen auf die Grünen ein, die FDP attackiert die Union. „Sozialisten“ seien am Werk, „mit Marktwirtschaft hat das nichts mehr zu tun“, sagt Liberalen-Boß Rentsch: „Wo Verliebtheit im Spiel ist, gedeihen Eifersucht und Enttäuschung“, erklärt Ministerpräsident Bouffier fast schon zynisch und spricht von „enttäuschten Liebhabern.“

Inhaltlich hat Schwarz-Grün das erste Jahr bemerkenswert reibungslos absolviert. „Pragmatisch. Ganz im Stil der Kanzlerin Angela Merkel“, sagt Parteienforscher Jürgen Falter. Die beiden Partner mußten die eine oder andere Kröte schlucken. Die CDU ging Kompromisse beim Umweltschutz ein, zeigte sich aufgeschlossener gegenüber Flüchtlingen. Die Grünen dagegen mußten sich dagegen vom propagierten Baustop des Frankfurter Flughafens verabschieden. Al-Wazir lobte die Union anschließend für ihr modernes Auftreten und erklärte, „daß Konservatismus und Fortschritt sich nicht ausschließen“. Und Bouffier empfindet den Punktsieg in Sachen Flughafen nicht als solchen, sondern feiert die Grünen „für ihre Bemühungen in Sachen Umwelt- und Lärmschutz“. So kann jeder sein Gesicht wahren. Und der Chef feiert es als „Versöhnung von Ökologie und Ökonomie“.

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