© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Der Tag, an dem Angela Merkel abtritt
Große Koalition: Je länger die Griechenland-Krise dauert, desto wahrscheinlicher wird der Sturz der Kanzlerin / Ein Planspiel
Paul Rosen

Eigentlich ist ein Rücktritt des Bundeskanzlers nicht vorgesehen. Das ändert allerdings nichts daran, daß es schnell dazu kommen kann. Willy Brandt ist so ein Fall gewesen. Der erste SPD-Kanzler trat 1974 zurück, nachdem einer seiner engsten Mitarbeiter, Günter Guillaume, als DDR-Spion enttarnt worden war. Seit bald zehn Jahren wird die Bundesrepublik Deutschland von Angela Merkel (CDU) regiert. Und auch ihr politisches Ende könnte schneller kommen als gedacht.

Merkel hat ihre Regierungsarbeit mit allerlei Alternativlosigkeiten verknüpft, die ihr schnell zum Verhängnis werden könnten. Dazu zählt in erster Linie ihre Aussage: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Was ist, wenn der Euro tatsächlich scheitert? Merkel hat sich festgelegt, daß Griechenland auf jeden Fall gerettet und im Euro gehalten werden muß. Angesichts der katastrophalen finanziellen Zustände ist Griechenland aber auf dem Weg in den Abgrund. Das ist für Merkel eine Gefahr: Schon bei der jüngsten Griechenland-Rettung, der Verlängerung des Hilfspakets, gab es rund 100 persönliche Erklärungen aus der Unionsfraktion zur Abstimmung im Bundestag. „Die Stimmung im Volk kippt“, stellte die Frankfurter Rundschau fest und verwies darauf, daß die Abgeordneten längst gemerkt hätten, wie sich in ihren Wahlkreisen die Stimmung wendet. Kein Kanzler kann mit wechselnden Mehrheiten im Bundestag regieren. Wie dramatisch die Lage ist, wurde bei der Abstimmung über die in der Unionsfraktion unbeliebte Frauenquote in Aufsichtsräten von Unternehmen deutlich. Rund 200 Abgeordnete der CDU/CSU fehlten bei der Abstimmung, die Führung der Großen Koalition entging um Haaresbreite einer Situation, in der ihr Prestigeobjekt nur noch mit Hilfe der Opposition durchgeboxt worden wäre. Das sind Zeichen des Auseinanderbrechens.

Merkel hat vor dem nächsten Griechenland-Hilfspaket bei weiter wachsendem Widerstand der Abgeordneten zwei Optionen: Sie könnte zurücktreten. Wahrscheinlich würde dann Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) versuchen, die Macht an sich zu reißen. Wahrscheinlicher aber ist, daß Merkel das nächste Griechenland-Paket mit der Vertrauensfrage verbinden könnte. Vorbild wäre die von Gerhard Schröder 2001 gestellte Vertrauensfrage über die Beteiligung am Afghanistan-Einsatz. Damit hätten die Unionsabgeordneten eine schwierige Wahl: Entweder sie winken das Griechenland-Paket durch und Merkel kann weiterregieren, oder sie entziehen der Kanzlerin das Vertrauen, was sogar zu Neuwahlen führen könnte. Die letzte Entscheidung über Neuwahlen läge bei Bundespräsident Joachim Gauck, der den Bundestag aufzulösen hätte, dies aber auch ablehnen kann. Neuwahlen nach Vertrauensfragen gab es 1982 und 2005. Helmut Kohl (CDU) hatte 1982 erst Helmut Schmidt (SPD) durch ein konstruktives Mißtrauensvotum gestürzt und dann über eine Vertrauensfrage, bei der ihm die eigene Fraktion das Vertrauen wie geplant verweigerte, Neuwahlen herbeigeführt. Kohl gewann die Bundestagswahl, Gerhard Schröder, der 2005 ähnliches versuchte, verlor hingegen gegen Merkel.

Eine weitere Möglichkeit wäre das konstruktive Mißtrauensvotum. 1972 war Rainer Barzel (CDU) mit einem Mißtrauensvotum gegen Brandt gescheitert, Kohl war dagegen 1982 gegen Schmidt erfolgreich. Heutzutage müßte Sigmar Gabriel (SPD) versuchen, eine rot-rot-grüne Mehrheit zusammenzubekommen, um Merkel zu stürzen und durch diese Abstimmung selbst Kanzler zu werden. Dafür spricht: Gabriel ist schon 55 Jahre alt und ehrgeizig. Die Zeit rennt ihm davon. Die drei linken Parteien kommen sich immer näher. Deutlich wurde das erst kürzlich bei einer Bundestagsdebatte über die Rekommunalisierung der Energienetze, wo allein die Redner der Union das Fähnlein der Marktwirtschaft hochhielten, während alle anderen die Vorteile staatlicher Netze priesen. Andererseits ist der Weg bei der knappen Mehrheit, wie sie die drei linken Parteien im Bundestag haben, hoch riskant.

Daher setzt die SPD derzeit auf einen Zerfall der CDU/CSU und die Vertrauensfrage-Option. Der Bundespräsident müßte den Bundestag nach einer von Merkel verlorenen Vertrauensfrage mit nachfolgendem Rücktritt nicht auflösen. Die Bildung einer neuen Regierung ist auch ohne vorherige Neuwahl des Parlaments möglich. Gauck, der sich längst vom Präsidenten der Freiheit und Bürgerrechte zum Repräsentanten eines „vielfältigen und toleranten“ Wohlfahrtsstaates weiterentwickelt hat, könnte Gabriel vorschlagen und damit die CDU-Ära in Deutschland beenden.

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