© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Goodluck will es noch mal wissen
Nigeria: Der Kampf gegen die Terrormiliz prägt den Wahlkampf und offenbart die Zerrissenheit des Landes
Josef Hämmerling

Kurz vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen versuchte Goodluck Jonathan zu punkten: „Wir werden Nigeria binnen eines Monats von der Terror-Organisation Boko Haram reinigen.“ Mit diesen Worten verströmte der Präsident des westafrikanischen Landes kurz vor der sehr wichtigen Wahl am 28. März Optimismus – der allerdings von nur wenigen geteilt wird. Zwar will die nigerianische Armee elf der vierzehn besetzten Landesteile befreit haben, doch auch dort mordet Boko Haram weiter. Wie etwa in der Grenzstadt Gamboru-Ngala, in der trotz der versprochenen „Befreiung“ am vergangenen Wochenende an nur einem Tag elf Menschen von Boko Haram ermordet wurden.

Doch nicht nigerianische Truppen eilten der verängstigten Bevölkerung zu Hilfe. Truppen aus dem Tschad vertrieben die radikal-islamistischen Kämpfer, die sich kurz zuvor mit dem Islamischen Staat (IS) solidarisiert hatten. Seit Wochen unterstützen die Nachbarstaaten Niger, Tschad und Kamerun Nigeria im Kampf gegen die Terrormiliz. Die brutalen Angriffe im Nordosten des Landes und die sich anschließende Gegenoffensive der Kooperationsstaaten waren auch die Ursache für die Verschiebung der nigerianischen Wahlen, die ursprünglich für den 14. Februar geplant waren.

Jonathan beschwört die Einheit des Landes

Seit 2009 wurden bei Überfällen über 10.000 Menschen getötet, davon 4.000 im vergangenen Jahr, zumeist Christen. Zirka 1,5 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Boko Haram kämpft für einen islamischen Staat im Norden Nigerias und den angrenzenden Ländern. Ihr Kalifat erstreckt sich über die Bundesstaaten Borno und Adamawa.

Erst kürzlich erklärte der Prälat der nigerianischen Methodistenkirche, Samuel Uche, daß die muslimischen Volksgruppen der Fulani und Kanuri hinter den Aktionen Boko Harams stecken würden. Ihnen ginge es letztlich nur darum, den christlichen Präsidenten unter Druck zu setzen. Diesen Ball nahm Goodluck Jonathan, der der People’s Democratic Party (PDP) angehört, auf und beschuldigte die Oppositionspartei All Progressive Congress (APC) Drahtzieher zu sein. Deren alleiniges Ziel sei die Destabilisierung des Landes, um so die Leute zu veranlassen, den muslimischen APC-Spitzenkandidaten Muhammadu Buhari zu wählen.

Der APC ist ein relativ neuer Zusammenschluß verschiedenster Oppositionsparteien und ist besonders im Norden des Landes stark. Neuesten Umfragen zufolge wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben, wobei die Zustimmung für Buhari immer mehr wächst.

Besonders nachdem die beiden einflußreichen Gouverneure der Provinzen Rivers State und Kano State sich von der PDP abwandten und nunmehr den APC unterstützen – weniger aus ideologischen Gründen, sondern zur Ausweitung ihrer Macht. Damit ist die Opposition gegen die PDP-geführte Regierung so geschlossen wie niemals zuvor.

Immer wieder beschwört Jonathan den kurzfristigen Sieg gegen Boko Haram und preist sich als Garanten der Einheit des Vielvölkerstaates mit seinen 155 Millionen Einwohnern. Die Stimmen, die Jonathan vorwerfen, zuwenig gegen die ethnischen Konflikte zwischen dem muslimischen Norden und dem christlich dominierten Süden sowie gegen die grassierende Korruption getan zu haben, mehren sich.

Ölpreisverfall setzt die Politik unter Druck

Obwohl Nigeria durch die großen Vorkommen an Erdöl und Diamanten inzwischen mit einem Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet 372 Milliarden Euro die größte Volkswirtschaft Afrikas ist, geht dieser Reichtum nahezu gänzlich an der Bevölkerung vorbei. Und durch den massiv fallenden Ölpreis droht sogar eine weitere Zunahme der sozialen Konflikte.

Überschattet werden die Wahlen von Korruption und Gewalt. So wurden Oppositionspolitiker an der Einreise in die südlichen Teile Nigerias, die von der PDP beherrscht werden, gehindert und APC-Anhänger bedroht und verhaftet. Jonathan wird dabei vorgeworfen, Polizei und Armee für seine Ziele zu instrumentalisieren, was mittlerweile selbst in den Sicherheitsorganen für Unruhe sorgt.

Doch egal, wie die Wahlen ausgehen, Ruhe wird es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben. Politiker des Südens als auch des Nordens haben bereits Gewalt angekündigt, sollte die jeweils andere Partei die Wahl gewinnen. So drohte der Gründer der militanten Niger Delta Peoples Salvation Front, Mudschahid Dokubo-Asari, sollte Good-

luck Jonathan wiedergewählt werden, treffe man sich auf dem Schlachtfeld wieder.

Auch andere militante Gruppen drohen mit Krieg und Zerstörung. Dagegen wurde ein namentlich nicht genanntes ehemaliges Mitglied des Repräsentantenhauses in der Zeitung The Nation zitiert, daß es im Fall einer Wiederwahl Jonathans zu einem Bürgerkrieg kommen werde, nach dessen Ende „das Land nicht mehr das gleiche“ sein wäre. Wole Soyinka, erster afrikanischer Literaturnobelpreisträger, rechnet im Gespräch mit der Deutschen Welle nach den Wahlen gar mit einem Militärputsch in seinem Heimatland.

Die Emotionen sind auch deswegen so angespannt, weil – einem ungeschriebenen Gesetz zufolge – nach der Amtszeit Jonathans nunmehr ein „Northener“ an der Reihe wäre. Dies lehnt die PDP jedoch kategorisch ab.

Foto: Präsident Goodluck Jonathan (r.) und sein Herausforderer Muhammadu Buhari bei einer Wahlkampfveranstaltung: Die freudige Umarmung trügt, Goodluck wähnt Buhari als Netzwerker hinter Boko Haram

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