© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/15 / 27. März 2015

Der Flaneur
Sechsbeinig im Morast
Bernd Rademacher

Wunderbar, es hat gefroren! Der Nachtfrost hat den Matsch und Morast wieder in festen Boden verwandelt. Die Natur ist wieder begehbar. Also schnell hinaus. Komm mit, Hund! So früh hat man die Landschaft für sich, die Jogger und Nordic Walker sitzen noch gemütlich beim Frühstück. Ich habe ein bestimmtes Ziel: Ich will eine Hinweistafel fotografieren, die über ein historisches Ereignis Auskunft gibt. Im Dreißigjährigen Krieg wurde hier durch ein improvisiertes Stauwerk die Stadt überflutet, um die Erstürmung zu ermöglichen.

Die Gräben füllen sich wie Priele mit dunkler Brühe. Am Ende ist kein Durchkommen mehr.

Der Weg dauert seine Zeit. Die Sonne steht hoch am Himmel – und sie hat schon Kraft! Der Boden taut verdammt schnell. Wo eben noch Reif war, sind jetzt Pfützen. Der gefrorene Lehm ist schon wieder aufgeweicht. Es gibt nur einen Weg: Immer auf der Krone der Wallhecken entlang. Aber das erweist sich als Sackgasse. Die Gräben füllen sich wie Priele mit dunkler Brühe. Am Ende ist kein Durchkommen mehr. Also kehrt und einen anderen Weg suchen. Der Hund sieht inzwischen aus wie ein Wildschwein, das aus der Suhle kommt. Wie soll ich das Auto nachher wieder sauber kriegen? Der Matsch schmatzt und schlürft bei jedem Schritt. Dicke Klumpen kleben an den Stiefeln.

Endlich wieder Asphalt. Am Geländer der Fußgängerbrücke hängen Liebesschlösser an jeder Sprosse. Ich lese die gravierten Namen: Leon und Marie, Stephan und Kirsten, Melanie und Paul ... Es müssen Hunderte sein. Ich frage mich, ob deren Gewicht die Statik der Brücke nicht beeinträchtigt. Doch der Gedanke beschäftigt mich nur kurz. Als ich wieder auf dem Parkplatz vor dem Auto stehe und den Hund ansehe, habe ich beileibe andere Sorgen. zeigt sich am Wahlsonntag, dem 10. Mai, ab 18 Uhr.

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