© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Jung, aber keine Zukunft in Spanien
Migration: Ein Großteil die iberischen Jugend sieht in der Heimat keine Chance auf ein normales Berufsleben. Viele zieht es nicht nach Berlin, sondern in die Neue Welt
Lukas Noll

Feierabend!“ sagt Diego Mendez grinsend. Der Spanier sitzt auf einem kleinen Mauerstück im Hinterhof seines Wohnhauses und pafft einen Rauchring in die Luft. Er sitzt in Badehose und Flipflops da, hat sich eine Dose Brahma aufgemacht. Zu einem richtigen Feierabend gehört auch ein Feierabendbier. Sein Praktikum im spanischen Generalkonsulat in São Paulo fängt morgens um acht an, um halb drei darf er wieder nach Hause fahren. So entgeht er zumindest nachmittags bequem dem Berufsverkehr der größten Stadt der Südhalbkugel, der Verabredungen gerne zunichte, ja unmöglich macht. Daß der 26jährige in südländischer Gemütlichkeit oft etwas später kommt, stört im Büro daher keinen. Wer will es ihm auch verübeln. Seit Spanien in der Rezession steckt, zahlen die Behörden Praktikanten keinen Centavo mehr.

25 Jahre auf einen festen Arbeitsplatz warten

„Ich arbeite gratis“, ärgert sich Die-go. „Und natürlich nur das, was sonst keiner machen will.“ Er gönnt sich einen längeren Schluck aus der Bierdose. Täglich wandern rund dreißig Visa zur Prüfung über seinen Schreibtisch. „Es sind eigentlich nicht viele Anfragen in São Paulo. Aber das Konsulat leistet sich nur noch so wenig Personal, daß es viel für mich ist.“ Einen negativen Bescheid hat Diego bislang nur einmal ausgestellt, kein Wunder. Wer von Brasilien aus nach Spanien will, kommt meist aus einer besser situierten Familie und will sich mit einem europäischen Universitätsabschluß oder Erasmus-Semester zieren. Die Zeiten, in denen geringqualifizierte Latinos die Reise in die Alte Welt antraten, um das große Geld für die Familie zu verdienen, sind vorbei – die Fahrtrichtung hat sich geändert.

Lateinamerikanische Börsen tauchen am Sternenhimmel der Finanzwirtschaft auf, Universitäten wie die renommierte Universität von São Paulo erscheinen ranghoch in internationalen Rankings, selbst stagnierende Volkswirtschaften der Neuen Welt wirken im Vergleich zur Lage in Südeuropa wie prosperierende Hoffnungsträger. „Schwellenländer“ wie Brasilien und Chile sind drauf und dran, besagte Schwelle zu übertreten – die Südeuropäer begegnen ihnen dabei im Rückwärtsgang. Und auf der Flucht.

200.000 Menschen haben Spanien allein im ersten Halbjahr 2014 verlassen, das Instituto Nacional de Estadística verzeichnet bereits seit vier Halbjahren einen Bevölkerungsrückgang. Noch sind die Auswanderer größtenteils Rückkehrer, Migranten aus Südamerika und Osteuropa, die in Spanien nicht länger eine wirtschaftliche Zukunft sehen. Doch es sind zunehmend junge, einheimische Akademiker, die das Handtuch werfen.

„Wir waren eine Clique von fünfzehn Leuten in Madrid“, erzählt Diego, der vor einem Jahr seine „Licenciatura“ in „Werbung und PR“ an der bekannten Universidad Complutense de Madrid abgeschlossen hat, was ungefähr einem Bachelor-Abschluß entspricht. „Heute sind noch vier davon in Spanien, zwei in Madrid. Von diesen vier hat einer einen Job“, erzählt er bemüht schonungslos.

Dabei ist ihm anzusehen, wie wenig ihn das Schicksal seiner Freunde kalt- läßt. Kein Wunder, sie sitzen im selben Boot. In die ganze Welt hat es die Gruppe verschlagen: „Frankreich, Deutschland, Chile, Portugal, Vietnam, Marokko, Australien, Holland“, fängt er an aufzuzählen. Als ihm keines mehr einfällt, kommt er kleinlaut zu sich: „Und Brasilien.“

Die ehemaligen Kolonien in Zentral- und Südamerika sind ein beliebtes Ziel für die jungen Auswanderer. Spanier stoßen in achtzehn Ländern auf ihre Muttersprache, Portugiesen mit Brasilien in der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt, zudem ähneln beide Sprachen einander stark. „Das mag etwas abstrakt klingen“, warnt Simão Davi Silber, Volkswirtschaftsprofessor an der Universität von São Paulo. „Aber als junger Mensch haben Sie in Spanien gerade durchschnittlich 25 Jahre Wartezeit auf einen festen Arbeitsplatz.“

Daß ein Land wie Brasilien dem Lebensstandard Südeuropas nach wie vor hinterherhinke, sei nicht der entscheidende Punkt. Manchmal sei die Frage, ob die Kurve nach oben oder unten zeige, wichtiger als nackte Zahlen.

Spanien und Portugal sind als Krisenländer zuletzt aus der Berichterstattung verschwunden, die konservativen Regierungen in Madrid und Lissabon nehmen ihre Sparziele ernst. Doch die Jugendarbeitslosigkeit Spaniens lag im vergangenen Jahr mit 53,4 Prozent noch deutlich vor Griechenland (49,8 Prozent) und Portugal (34,5 Prozent).

17 Euro – mehr Ausgaben sind in der Woche nicht drin

Auch wenn beide Iberostaaten 2014 erstmals wieder ein positives Wirtschaftswachstum nahe eines Prozents meldeten, zeichnet sich das nächste Problem in Gestalt der demographischen Krise bereits ab. Die „verlorene Generation“ hat die Flucht angetreten, Prognosen sagen Spanien in den nächsten fünfzehn Jahren eine Abwanderung von einer Million Menschen voraus, Portugal könnte innerhalb von dreißig Jahren um zwanzig Prozent von zehn auf acht Millionen Einwohner schrumpfen. Die Geburtenrate schwankt in beiden Ländern dramatisch tief um 1,3 Geburten pro Frau.

Während es deutsche Jugendliche zum „Work and Travel“ in die Welt hinauszieht, verlassen Spanier und Portugiesen als Wirtschaftsflüchtlinge ihre Heimat. Für Europäer alltägliche Fragen wie Urlaub werden da zum unhaltbaren Luxus: In Diegos Heimatstadt Santa Cruz auf Teneriffa gehörte der Strand zum Alltag – die einstündige Busfahrt von São Paulo ans Meer dagegen ist ein Plan, den er sich vorerst aufschieben muß.

Ein paar kleinere Reisen am Wochenende würde der Spanier gerne unternehmen, er träumt davon, die Iguazú-Wasserfälle an der Grenze zu Argentinien zu bestaunen. Doch das muß warten. „Ich werde versuchen, mit 50 Reais die Woche auszukommen“, erklärt er, was umgerechnet kaum mehr als 17 Euro sind. „Vielleicht klappt’s ja dann.“ An die 1.800 Euro Schulden gegenüber seiner Universität will er gar nicht erst denken. „Ich habe ein Jahr lang nach einem Job neben dem Studium gesucht, um die Studiengebühren sofort zurückzuzahlen“, sagt er. „Vergeblich: Nur ein Supermarkt rief zurück. Dann hätte ich aber meine Pflichtveranstaltungen nicht mehr besuchen können.“ In der eigenen Branche, im Marketingbereich oder in der Werbung, bewerbe er sich erst gar nicht. Ohne zwei oder drei Jahre Berufserfahrung sei das in Spanien undenkbar. „Vergiß es! Der Scheiß ist: Niemand läßt dich anfangen, die drei Jahre Erfahrung zu sammeln. Es ist ein Teufelskreis.“

Mit unzufriedenem Gesichtsausdruck drückt er seine Zigarette an der Mauer aus. Daß er keinen Glimmstengel mehr in der Hand hält, scheint seine Laune nur noch zu verschlechtern. „Scheiße, Mann“, flucht er. „Das einzige, was du in Spanien denkst, ist: Ich bin jung und hab keine Zukunft. Seit sieben Jahren hören und denken wir nichts anderes.“ Ein fester Job sei für ihn zur Utopie geworden. Daran, Kinder in die Welt zu setzen, eine Familie zu gründen, könne er nicht einmal denken. „Und dann hörst du, wie jeden Tag irgendein neuer Korruptionsskandal der Politiker aufgedeckt wird. Da geht dir doch das Messer in der Tasche auf“, schimpft er.

Bei den Parlamentswahlen, das weiß er jetzt schon, wählt er die linksalternative Podemos (JF 8/15). Per Brief, hofft Diego. Bis dahin will er einen festen Job in Brasilien haben. Bei mehreren Unternehmen ist er bereits in die zweite Bewerberrunde vorgerückt, auf den entscheidenden Anruf wartet er noch. Ein Supermarkt ist nicht dabei. „Ob ich dann noch mal zurückkomme, kann nur die Zeit entscheiden“, sagt Diego nachdenklich.

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