© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Gewaltige Kegel
An den Brüsten der Erde: Wandern durch Nordböhmens einzigartiges Vulkangebirge
Wiebke Dethlefs

Es ist eine der markantesten Landschaften Mitteleuropas, doch die Kenntnis um sie ist hierzulande kaum ins Bewußsein eingedrungen. Das Böhmische Mittelgebirge (Česke Středohoři), eine pittoreske Vulkanregion, südlich des Erzgebirges um Eger und Elbe am Dreieck Teplitz-Tetschen-Leitmeritz gelegen, hat aber seit langem Künstler wie Wissenschaftler begeistert. Caspar David Friedrich war lebenslang von jenen Bergen fasziniert und schuf mehrere „Böhmische Landschaften“, die in immer neuer Beleuchtung jene seltsamen Kegel darstellen. Der weitgereiste Alexander von Humboldt zählte den Blick vom höchsten jener Vulkankörper, vom 837 Meter hohen Milleschauer (Milešovka), zu den drei schönsten Aussichten, die er in seinem Leben kennenlernen durfte. Doch heute ist das Böhmische Mittelgebirge meist nur Durchgangsgebiet für Reisende von Dresden nach Prag. Kaum machen Touristen halt, um diese einzigartige Landschaft kennenzulernen, die ein Pendant nur im französischen Zentralmassiv um den Puy de Dôme besitzt.

Nur Geologen suchen immer wieder, seit alters, die seltsamen vulkanischen Gebilde auf. Die gewaltigen Kegel, die sich bis 400 Meter über die Landschaft erheben, sind trotz ihrer charakteristischen Form keine Vulkanbauten, wie man sie beim Vesuv oder Ätna findet, sondern von der Verwitterung herauspräparierte Füllungen von magmatischen Zufuhrkanälen. In mehreren Schüben, ausgelöst durch die Auffaltung der Alpen, setzte in der Zeit von vor 28 Millionen Jahren bis vor etwa zehn Millionen Jahren entlang von Schwächezonen in der Kruste vulkanische Aktivität ein, die durch betont dünnflüssige, basaltische Magmen gekennzeichnet war. Diese niedrigviskosen Schmelzen flossen nach dem Erreichen der Oberfläche zur Seite und bildeten Decken, die später erodiert wurden, wobei die noch im Untergrund bestehenden Zufuhrkanäle, ähnlich wie wenn man einen Bleistift anspitzt, von Wind und Wasser zu ihrer Kegelform umgestaltet wurden.

Die Basalte unterscheiden sich durch erhöhte Alkaligehalte von anderen mitteleuropäischen Gesteinen ihrer Art und deuten damit auf eine besonders tiefe Bildung der Schmelze hin, in gut 20 bis 30 Kilometern Tiefe, an der Grenze zum Erdmantel. Das Vorkommen der berühmten böhmischen Granate, die im Tagebau hier gefördert werden, ist ebenfalls dem Vulkanismus zu verdanken, der die in vergleichbaren Tiefen und unter hohen Drücken in einer früheren Phase entstandenen roten Edelsteine mitgerissen hat. Eine der großen Landschaften der klassischen geologischen Forschung.

Die vielen Kegel, die dieser Landschaft die Oberfläche eines wellenbekrönten, doch sanftbewegten Ozeans verleihen – Heinrich von Kleist sprach von einem „bewegten Meer von Erde“– verlocken magisch zum Wandern. Auf dem Milleschauer (manchmal auch Donnersberg genannt), wo seit 1904 eine Wetterstation steht, lädt dabei ein rustikales Lokal zur Einkehr. Auf dem unweiten Lobosch gibt’s zwar keine Einkehr, doch einen hinreißenden Blick auf Leitmeritz und die Mündung der Eger in die Elbe. Der Weg auf beide Gipfel ist nur wenig beschwerlich.

Ein Muß ist der Besuch des Schreckensteins (Střekov) bei Aussig. Ein von einer trutzigen Feste überragter Fels sperrt wie „ein königlicher Strauchritter des Elbtal“, wie es der deutschböhmische Schriftsteller Hans Watzlik ausdrückte. Diese Lokalität ist immerhin durch jenes weitverbreitete, romantisierende Gemälde Ludwig Richters „Überfahrt über die Elbe am Schreckenstein“ bekannt. Richard Wagner soll auf dem Schreckenstein während eines nächtlichen Aufenthaltes die Eingebung zu seinem „Tannhäuser“ empfangen haben. Allerdings ist seit den zwanziger Jahren das Panorama durch die höchst unromantische Masaryk-Schleuse ziemlich beeinträchtigt.

Grenzburg aus der Zeit Karls IV.

Östlich der Elbe wird das Vulkangebirge vielleicht aber noch hinreißender. Bei Steinschönau (Kamenicky Šenov) hat der Basalt am sogenannten Herrenhausfelsen bei der Abkühlung bizarr anmutende Bündel fünf- bis sechsseitiger Säulen ausgebildet, die zu den großartigsten vulkanischen Naturwundern Europas gerechnet werden.

Hinter Böhmisch Leipa (Česka Lipa) lösen die nordböhmischen Sandsteinmassive, wie sie auch in der Sächsischen Schweiz auftreten, die Vulkane ab. Nur einmal noch, dafür um so großartiger, ragen am Berg Bösig (Bezděz) wie Brüste der Erde zwei herrlich symmetrische Spitzen empor, eine bekrönt durch eine Grenzburg aus der Zeit Karls IV. Diese phantastische Landschaft regte Dichter und Komponisten an. Smetanas Oper „Das Geheimnis“ ist im und um den Berg Bösig angesiedelt.

Für Entdeckungsfreudige, gleich ob mit kulturellem oder naturhistorischem Interesse, wird eine Reise ins Neuland des Böhmischen Mittelgebirges zweifellos ein Erlebnis sein. Und auf die anderen warten hier überall schäumendes böhmisches Bier und die kulinarischen Freuden der böhmischen Küche. Für einen Wochenendausflug ist die Region bestens geeignet, sind es doch von Dresden nur etwa 70 bis 100 Kilometer bis dorthin. Gute und preiswerte Übernachtungsgelegenheiten gibt es überall, auch ohne Reservierung.

Foto: Milleschauer, auch Donnersberg: Höchste Vulkanerhebung im Böhmischen Mittelgebirge

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen