© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Pankraz,
Jan Assmann und der Gott der Gewalt

Ist die Religion, jede Religion, ein Quellgrund von Gewalt, tödlicher Gewalt? Wäre mehr Frieden in der Welt, wenn es den Glauben an Gott oder überhaupt an transzendente Dimensionen nicht gäbe? So fragen sich zur Zeit viele angesichts der horrenden Gewaltexzesse, wie sie vor allem in islamischen Ländern im Namen Gottes stattfinden.

Neue Bücher erscheinen, die solchen Fragen auf den Grund gehen wollen: Karen Armstrongs

„Im Namen Gottes. Religion und Gewalt“ (Pattloch Verlag, München), Klaus Theweleits „Das Lachen der Täter“ (Residenz-Verlag, St. Pölten). Eine parteiübergreifende Tendenz wird erkennbar, die Religion pauschal freizusprechen. Die Exzesse, heißt es übereinstimmend, träten „von außen“ hinzu, rührten aus der biologischen Gewaltkomponente in der menschlichen, speziell der männlichen Natur. Die Religion als solche sei gewaltfrei.

Pankraz findet, daß man es sich hier – in apologetischer Absicht – zu leicht macht. Sicher, zur menschlichen Natur gehört eine „aggressive“, gewaltnahe Komponente; sie ist jedoch bei gebührender Anstrengung sehr wohl kultivierbar, kann grundsätzlich in erträgliche, sogar aufbauend-schöpferische Bahnen gelenkt werden. Ohne sie wäre spezifisch menschliche Existenz gar nicht möglich; Konrad Lorenz hat das seinerzeit in seinem legendären Werk „Das sogenannte Böse“ höchst überzeugend auf Begriffe gebracht.

Ob und wann natürliche Aggressivität in plane, lediglich zerstörende, Verheerung und Tod bringende Gewalt umschlägt, hängt von Faktoren ab, die nicht aus der Aggressivität selbst stammen, sondern denen eine je eigene Gewalttendenz innewohnt. Es sind überwiegend soziale, an sich ebenfalls natürliche Antriebe, wie sie auch im Tierreich strukturgebend sind: Besitzstreben, Herrschaftsstreben, Verteidigung von Territorium oder Harem, Festlegung von Hierarchien in der Stammesgemeinschaft.

Einzig der Glaube an Gott kommt nicht in der übrigen Natur vor, ist dem Menschen vorbehalten. Ist er aber deshalb gefeit vor exzessiven Gewaltausbrüchen? Davon kann nicht die Rede sein. Der Gottesglaube bündelt ja gerade alle oben genannten gewaltträchtigen Antriebe, das Herrschaftsstreben, den Kampf um die Heimat, die Wahrheit und die absolute Angekommenheit, das heißt, er ist allumfassend und läßt keine Entscheidung mehr offen. Und im selben Takt ist er sinnenfern, transzendent, man kann nicht mit ihm über seine Kompetenzen diskutieren, man muß an ihn glauben.

Für den Polytheismus, der am Anfang jeglicher Religiösität stand, gab es noch einen Götterhimmel, der von unterschiedlichen Machthabern bevölkert war. Diese verfügten zwar über die absolute Kompetenz auf gewissen Spezialgebieten, etwa bei Fragen der Liebe oder des Wetters, aber die Generalkompetenz war ihnen verwehrt, sie stritten sich oft und konnten von den Gläubigen gegeneinander ausgespielt werden. Aber mit Anbruch des Monotheismus entfiel diese Möglichkeit der Einflußnahme „von unten“.

Wer von nun an irgend etwas gegen die kanonischen Schriften oder die von Priestern exekutierten kanonischen Rituale einzuwenden hatte, der begehrte gleich gegen die heilige Ordnung der Welt im ganzen auf, der war des Teufels und mußte vernichtet werden. Es entstand zeitweise ein Klima wütender Gewaltbereitschaft gegen „Ketzer“ und Abtrünnige, das nur allzu oft zu grausamsten Verfolgungen und anderen Gewaltausbrüchen anstiftete. Und parallel dazu gab es nicht minder grausame Bekehrungsorgien unter „Heiden“, die sich nicht schnell genug einem bestimmten Glauben unterwerfen wollten.

Jeder Historiker wird bestätigen, daß die sogenannten Glaubenskriege der einen oder anderen Richtung zu den schlimmsten Gewalterscheinungen der menschlichen Geschichte zählen. Auch die Kriege der säkularisierten Ideologien im Zeichen der „Aufklärung“ gehören ja dazu, von den Kopf-ab-Orgien Robespierres gegen die Girondisten bis zu den Genickschuß-Orgien Stalins gegen Trotzkisten und Bucharinisten, als sich Gewaltherrscher selber zum lieben Gott erheben ließen, zum „Höchsten Wesen“ (Robespierre), zum „Vater der Völker“ (Stalin).

Jan Assmann, der große Historiograph des Monotheismus, der dessen Entstehung früher stets als ein äußerst herrscherliches Konstrukt aus altägyptischem Sonnengott (Echnaton) und altisraelischem Gesetzesgott (Moses) beschrieben hat, liefert in seinem soeben erschienenen neuen Buch „Exodus“ (C.H. Beck, München) eine fast sensationell wirkende Erweiterung seiner bisherigen Forschungen über die biblische Geschichte des Auszugs aus Ägypten und der folgenden Ereignisse bis hin zur Fixierung der Zehn Gebote.

Diese Geschichte erscheint hier deutlich und in erster Linie als die Geschichte eines auf Gegenseitigkeit gegründeten Treuebündnisses zwischen Gott und Mensch. Der Mensch wird durch seine Bekehrung zum „einen“ Gott tatsächlich selbst „vergöttlicht“, nämlich von der übrigen Natur abgehoben und ihr gegenüber privilegiert und zu besonderen Pflichten gerufen. Aber Gott seinerseits wird im gleichen Maß auch zum Menschen, zu seinem Bruder. Vater und Bruder werden in mystischer Vereinigung aufgehoben, jede Spur von Fremdheit zwischen Mensch und Gott ist komplett getilgt.

Man kann diesen neuen Ton in Assmanns „Exodus“ natürlich als „Abweichung vom rechten Glauben“ (von welchem auch immer) oder als „wissenschaftliche Überinterpretation“ bemäkeln; die ersten Kritiken zeigen, daß in der Fachwelt schon eifrig die Messer gewetzt werden. Man munkelt, daß Assmann auf seine alten Tage ein „Mystiker“ geworden sei und offenbar als ein zweiter Maimonides, Meister Eckhart oder Dietrich Bonhoeffer in die Geschichte eingehen möchte.

Klar ist freilich nur, daß das „Exodus“-Buch, trotz seines schwierigen Inhalts und Schreibstils, schön dabei helfen könnte, zu verhindern, daß weiterhin schlimmste Gewalttaten im Namen Gottes begangen werden. Es ist, bei Lichte betrachtet, eine echte Osterbotschaft.

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