© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Die erschöpfte Vitalität erneuern
Zur österlichen Symbolik: Über die Notwendigkeit einer regelmäßigen Regeneration des Lebens
Karlheinz Weissmann

Auf Malta und seiner Nachbarinsel Gozo tritt die Bedeutung des Osterfestes für den christlichen Jahreslauf bis heute stark hervor. In vielen Orten wird schon der Palmsonntag aufwendig gefeiert, der Einzug Jesu in Jerusalem mit Laienspielern und veritablem Esel nachgestellt, der Herr von den Passanten mit grünen Zweigen empfangen, die alte Fahne des Kreuzfahrerkönigreichs an den Kirchen aufgezogen.

Am Gründonnerstagabend finden Prozessionen statt, bei denen man drastische Szenen mit lebensgroßen Figuren zur Passionsgeschichte auf schweren Gestellen durch die Straßen trägt, geführt vom Klerus, begleitet von den Honoratioren und allem, was eine Uniform tragen darf, im Wechsel geschleppt von Männern, die bei Kräften sind und auf sich halten, von zahllosen Zuschauern wie bei einem Volksfest bestaunt, begleitet von ohrenbetäubender Blasmusik.

Aber den Höhepunkt des ganzen bildet selbstverständlich die Osternacht, wenn die Gemeinde zur Messe kommt, andächtig und voller Erwartung. In einigen Orten ist es üblich, daß – nachdem das dritte Mal „Der Herr ist auferstanden!“ – „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ zu hören war – das hinter dem Altar niedergelegte Kruzifix mit Seilen von zwei Mannschaften ruckartig hochgezogen und wieder hingestellt wird. Dann gibt es Beifall, und die Kinder laufen jubelnd zum Altar und reichen dem Priester als Geschenk kleine Kuchen in Lammform.

Das Laute, das Bunte, das Naive dieser Art Ostern dürfte den meisten Mittel- und Nordeuropäern fremd sein, nicht nur da, wo man protestantisch oder gottlos ist. Während es im stärker katholisch geprägten Mittelmeerraum, zu dem auch Malta und Gozo gehören, und sowieso im orthodoxen Osten immer noch einen elementaren Zugang zum Geheimnis der Auferstehung gibt. Der äußert sich nicht nur in der Dominanz der österlichen Symbolik, sondern auch und gerade in der Intensität, mit der die Gemeinde Ostern feiert.

Eine Ursache dafür ist, daß man auf sehr altem religiösem Grund steht, einer archaischen, tief eingewurzelten Überzeugung von der Notwendigkeit regelmäßiger Erneuerung des Lebens. Als im 19. Jahrhundert die zahlreichen alten oder noch umlaufenden Mythen systematisch erfaßt wurden, in denen von sterbenden und auferstehenden Göttern die Rede war, hat das zwar die Vorstellung von der Einzigartigkeit des christlichen Glaubens erschüttert, aber auch geklärt, wie elementar der Gedanke der Regeneration ist.

Der Zusammenhang mit dem Gang der Jahreszeiten, dem Wechsel von Aussaat, Ernte, Brache, dem Widerspiel von Opfer und Sühne, bildet dabei nur die Oberfläche, darunter – in den Geschichten von Tod und Wiederkehr des Osiris, des Melkart, des Baal, der Persephone, des Adonis, des Baldur – findet sich eine sehr wirklichkeitsnahe Idee von der allmählich erschöpften Vitalität, die von außen, letztlich durch ein Wunder, erneuert werden muß. „Auferweckung“ paßt nicht nur im christlichen, sondern schon im heidnischen Bekenntnis besser als „Auferstehung“, um den Vorgang zu bezeichnen.

Das Judentum nahm allerdings auch in dieser Hinsicht eine Sonderstellung unter den Religionen ein. Der Glaube Israels lehnte mit den fremden Kulten nachdrücklich die Vorstellung ab, daß Gott einem Schicksal unterworfen sein könnte, das den Tod mitumfaßt. Ein Sachverhalt, der nicht nur die Skepsis der jüdischen Führer, sondern auch die der Jünger angesichts der Botschaft vom leeren Grab verständlich macht, während der neue Glaube rasch eine außergewöhnliche Anziehungskraft auf die Nichtjuden gewann. Diese waren durch ihre eigenen Überlieferungen besser vorbereitet auf die Lehre vom sterbenden und auferstehenden Gottessohn, wenngleich ihnen nun die Einsicht abverlangt wurde, daß es sich nicht um einen zyklisch wiederkehrenden Vorgang handelte, sondern um einen einmaligen, tatsächlich in der Geschichte verankerten.

Trotz der zentralen Bedeutung für das Credo hat sich der Vorbehalt dagegen seit der Renaissance im aufgeklärten Europa nach und nach verstärkt und dazu geführt, daß die Auferstehung – selbst unter Geistlichen – zu den am wenigsten geglaubten Dogmen der Kirche gehört. Wer nicht gleich ganz mit der christlichen Lehre bricht, behilft sich mit Umdeutungen oder dem wenig wohlwollenden Spott des „Osterspaziergangs“: „Aus dem hohlen finstern Tor / Dringt ein buntes Gewimmel hervor. / Jeder sonnt sich heute so gern. / Sie feiern die Auferstehung des Herrn, / Denn sie sind selber auferstanden: / Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, / Aus Handwerks- und Gewerbesbanden, / Aus dem Druck von Giebeln und Dächern, / Aus der Straßen quetschender Enge, / Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht / Sind sie alle ans Licht gebracht.“

Allerdings ist ein solches Verständnis von Auferstehung sehr dürftig und hat auch Goethe nicht genügt. Dazu war ihm wenn nicht die Religion, dann doch das Religiöse zu wichtig. Ihn beschäftigten Glaubensfragen dauernd, und sie führten ihn zu wechselnden Antworten. In dieser Unsicherheit liegt der eigentliche Differenzpunkt zwischen dem Modernen und dem, der noch in der Welt der Überlieferung wurzelt.

Als ich, es liegt ein paar Jahre zurück, kurz vor Ostern meinen Urlaub auf Malta beendete und ein Taxi quer über die Insel zum Flughafen nehmen mußte, unterhielt ich mich mit dem Fahrer, dem unbegreiflich war, wieso ich denn nicht bis zum Fest blieb. Meine Erklärungen überzeugten ihn nicht, ganz gleich, was ich sagte. Schließlich blieb mir nur die Frage, warum ihm denn Ostern so wichtig sei, und er zählte auf, daß dann die ganze Familie zusammenkomme, auch die Kinder und die Enkel, die irgendwo im Ausland arbeiteten – wo es sogar Schnee gebe –, und man esse gut und trinke gut und besuche die Nachbarn, alle seien fröhlich. „Und das ist es?“ – Der Fahrer lachte: „Aber nein: Christus ist auferstanden, er hat den Tod besiegt.“

Foto: Rembrandt, Der ungläubige Thomas, Öl auf Holz, 1634: Der Apostel Thomas zweifelte zunächst an der Wiederauferstehung Jesu

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