© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Der einsame Kampf der Sharyl Attkisson
Wie die Investigativjournalistin durch staatliche Bespitzelung zur Ikone der amerikanischen Rechten wurde
Markus Schleusener

Sharyl Attkisson sitzt vor ihrem Computer. Plötzlich macht sich der Cursor, also der kleine Pfeil auf ihrem Bildschirm, selbständig. Hüpft, springt von Menüleisten zu anderen, beginnt damit Daten zu löschen. Es geht um Recherchematerial im Zusammenhang mit dem Weißen Haus. Die 52jährige sitzt angewurzelt vor ihrem Apple, die Maus reglos in der Hand. Für sie sind die Menüleisten deaktiviert. Sie kann das gespenstische Treiben nicht stoppen. Schnell schnappt sie sich ihr Smartphone und filmt ab, was sich vor ihren Augen abspielt. Dann stoppt sie den Cyberangriff, indem sie das Drahtlosnetzwerk deaktiviert.

Was war das? Ein Unbekannter hatte sich über einen Trojaner Zugang zu Attkissons Rechner verschafft. Die Existenz solcher Programme ist nicht neu. Nur wird der Einsatz selten gefilmt oder überhaupt registriert. Und worum ging es? Bis heute ist das nicht geklärt.

Attkisson ist eine der besten Journalistinnen Amerikas. Ihre Bilderbuchkarriere begann in den achtziger Jahren bei Regionalsendern in ihrem Heimat-Bundesstaat Florida nach dem Journalismusstudium an der dortigen Universität. Mit 21 wurde sie Fernsehjournalistin. „Ich wollte immer nur die Fakten berichten, statt die Welt zu verändern“, sagt sie über ihre Motivation für den Beruf.

Attkisson ist bei Obama in Ungnade gefallen

In den neunziger Jahren wechselte Attkisson zunächst als Moderatorin zu CNN, dann als Nachrichtensprecherin zu CBS.Damals begann sie mit der Arbeit als Investigativjournalistin. 2000 wurde sie zum erstenmal für ein Stück über Drogen vom Verband investigativer Journalisten ausgezeichnet. Es folgten weitere Auszeichnungen, sogar eine Emmy-Nominierung. Mit der Wahl Barack Obamas begann ein schleichender Wandel. Das Umfeld, in dem Attkisson und viele ihrer Kollegen sich bewegen, wurde eingetrübt. Die Oba-ma-Regierung, das wurde nach und nach klar, spielt mit härteren Bandagen als ihre Vorgänger, wenn sie kritisiert wird.

2009 gewann Attkisson, die Mutter einer Tochter ist, einen Preis für eine Dokumentation zur amerikanischen Bankenrettung. Sie berichtete über Steuergeldverschwendung – zum Beispiel über teure Dienstreisen von Politikern zu Klimagipfeln. Im Wahljahr 2012 erhielt sie einen Preis von einer konservativen Organisation für ihre Arbeit zum Fast-and-Furious-Skandal der Obama-Regierung.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt fiel Attkisson bei der Obama-Regierung in Ungnade. Attkisson sagt, sie wurde bespitzelt. Von wem? Unklar. Der Angriff auf ihren Rechner war nur einer von vielen Vorfällen. Durch die Snowden-Dokumente wissen wir, daß solche Aktionen zum Repertoire der Geheimdienste gehören.

Tatsache ist, daß Attkisson 2014 ihren langjährigen Auftraggeber CBS verlassen hat. Vermutlich im Streit, weil er ihre Arbeit nicht genug wertgeschätzt hat. So berichtete es Politico. Durch ihr im Herbst veröffentlichtes Buch „Stonewalled“ hat Attkisson diese Spekulationen beendet. Der Untertitel lautet: „Mein Kampf für die Wahrheit gegen die Kräfte der Behinderung, Einschüchterung und Belästigung in Obamas Washington“. Ein Knüller.

Attkisson erhebt schwere Vorwürfe gegen das Weiße Haus. Sie vermutet die Regierung und ihren Geheimdienstapparat hinter der Aktion. Auslöser war vermutlich ihre Recherche zum Terrorangriff von Benghasi: 2012 hatten Islamisten bei einem Überfall in der libyschen Hafenstadt einen US-Diplomaten und drei US-Agenten getötet, der als arabischer Straßenprotest getarnt wurde. Die US-Regierung vertuschte den für sie peinlichen Vorfall kurz vor der Präsidentenwahl. Präsident Obama schob die Schuld einem Kopten aus Kalifornien zu, der den drittklassigen Streifen „Innocence of Muslims“ bei Youtube hochgeladen hatte und entschuldigte sich öffentlich im Namen seines Landes für diese Beleidigung des Propheten. Die ganze Wahrheit kam erst nach der Wahl ans Licht. Für die politische Rechte ist Attkisson durch die Verfolgung zur Jean d‘Arc der Medien aufgestiegen. Glenn Beck nannte sie eine der wenigen Personen, „die noch den echten Journalismus verkörpern“.

Zudem steht sie für eine ganze Branche: Unter keinem Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg hatten es Journalisten so schwer wie unter Obama. Die Regierung verfolgt nicht nur Whistleblower wie Julian Assange und Edward Snowden, sondern auch kritische Journalisten. Selbst dann, wenn sie zum Mainstream gehören.

Der AP-Skandal blieb folgenlos

Die Chefin von AP in Washington, Sally Buzbee, etwa kritisiert: „Die tägliche Einschüchterung von Quellen ist extrem angsteinflößend.“ So hat beispielsweise das Justizministerium 2012 die Telefondaten von zwanzig AP-Mitarbeitern und eines Fox-Kollegen ausgewertet, um an ein Leck zu kommen. Auch dies war ein Einschüchterungsversuch, der ohne Folgen für die Beamten blieb. So haben sich die Fronten in vielen amerikanischen Redaktionen ins Gegenteil verkehrt. Viele Journalisten, die Barack Obama 2008 noch als Lichtgestalt begrüßt haben, wenden sich jetzt ab.

Attkisson war früher keine Linke, doch ihre Erlebnisse könnten sie politisiert haben. „Ich lasse mich nicht einschüchtern“, beteuert sie. Stolz schreibt sie in ihrem Buch: „Wenn du die Regierung zum erstenmal bei der Lüge erwischst, dann ändert dich das.“ Sie will auf jeden Fall weitermachen.

Sharyl Attkisson: Stonewalled. My Fight for Truth in Obama‘s Washington. Harper Collins, New York 2014, 422 Seiten, gebunden, 20,26 Euro, Kindle 9,90 Euro

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