© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/15 / 03. April 2015

Unterricht darf nicht zur „Power-Point-Karaoke“ werden
Zwischenruf zur Bildungsreform: Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann rügt die „Praxis der Unbildung“
Felix Dirsch

Die Ablehnung der Bildungsveränderungen im Rahmen des Bologna-Prozesses dürfte inzwischen bei den Betroffenen fast einhellig sein. Der frühere Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin verweist ebenso darauf wie der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann, der sich bereits in seiner Schrift „Theorie der Unbildung“ mit den schulischen und universitären Neuerungen beschäftigt hat.

Das Vorwort und die elf Kapitel des neuen Buches, die freilich etwas essayistisch-inkonsistent wirken, thematisieren die „Logik von Bildungskatastrophen“. Liessmann warnt vor einem quasireligiösen Stellenwert der „Pisa“-Evaluation der OECD und weiterer großangelegter Prüfungsverfahren, die viel versprechen, aber kaum etwas halten und überdies schwer vergleichbar sind.

Steigende Infantilisierung im Universitätswesen

An den diversen Bildungsexperten, von Gerald Hüther bis Richard David Precht, läßt Liessmann kein gutes Haar. Besonderer Stein des Anstoßes ist die sogenannte Kompetenzorientierung, die in vielen Lehrplänen um sich greift, die gelegentlich sogar einige hundert Schlüsselkompetenzen anführen. Deren Sinn leuchtet jedoch kaum ein. Weiterhin zeigt Liessmann die Schattenseiten der bereits seit Jahren omnipräsenten „Power-Point-Karaoke“, die maßgeblich dafür verantwortlich sei, daß viele Vorträge nur noch zum Kommentar der jeweiligen Präsentation degradiert werden. Darüber hinaus hätte der Bildungstheoretiker anführen können, daß die Rhetorik des Referenten nicht selten darunter leidet, wenn er sich auf eine umfassende visuelle Darbietung des Stoffes einläßt. In vielen europäischen Ländern, in denen in den Mittelschichten der Wohlstand immer noch verbreitet ist, zeigt sich eine zunehmende Infantilisierung insbesondere im Universitätswesen.

Besonders interessant ist der Abschnitt über die orale Phase als Lebensprinzip. Liessmann verweist als Beispiel auf die steigende Gepflogenheit der immer jünger werdenden Erstsemester, die Eltern zur ersten Vorlesung mitzunehmen. Fast ist man an Friedrich Nietzsche erinnert, dessen Mutter dem nicht gerade als lebenstauglich empfundenen Sprößling Socken und Würste schickte.

Natürlich geht Liessmann auch auf das Paradoxon ein, warum trotz der leichten Verfügbarkeit der Wissensüberfülle das Bildungsniveau rapide abzunehmen scheint.

Lobenswert ist, wie deutlich der Verfasser gegen die Implementierung von ideologischem Unsinn wie Gender Mainstreaming, Inklusion und Homosexualisierung des Schulwesens seine Stimme erhebt. Ein echter Liessmann, der gerade in der Überpointierung seinesgleichen sucht!

Konrad Paul Liessmann: Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2014, broschiert, 192 Seiten, 17,90 Euro

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