© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Luftkampf über den Kinderbetten
Familienpolitik: Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Klage des SPD-geführten Hamburgs gegen das Betreuungsgeld
Taras Maygutiak

Wer findet, daß sein Kind bis zum dritten Lebensjahr zu Hause besser aufgehoben ist als in einer öffentlich geförderten Betreuungseinrichtung, hat seit dem 1. August 2013 Anspruch auf das sogenannte Betreuungsgeld. Zunächst waren es monatlich 100 Euro, ein Jahr später – ab 1. August 2014 – wurde die finanzielle Zuwendung pro Kind und Monat auf 150 Euro erhöht.

Die Einführung dieses Gesetzes war alles andere als eine leichte Geburt. Vorangegangen waren monatelange erbitterte politische Grabenkämpfe, die viel über das familienpolitische Selbstverständnis der Beteiligten aussagten. Vor allem rote und grüne Politiker sahen das alleinige Heil in den Kinderkrippen, in denen auch schon die Jüngsten morgens abgegeben werden. Daß Eltern entscheiden, ihren Nachwuchs die ersten Lebensjahre selbst zu Hause zu erziehen, und dafür, daß sie keinen der teuren Krippenplätze in Anspruch nehmen, ersatzweise eine finanzielle Zuwendung bekommen, wollten die Gegner des Betreuungsgeldes diesen schlicht nicht zugestehen. Die rot-grüne Mehrheit gab es bekanntlich nicht, das Betreuungsgeld kam.

Doch locker ließen die Gegner nicht. Mit einem Normenkontrollantrag zog Hamburg unter seinem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz, der für seine Partei als SPD-Generalsekretär einst die „Lufthoheit über den Kinderbetten“ reklamierte, vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Am Dienstag verhandelt der 1. Senat daher über die Rechtmäßigkeit des Betreuungsgeldes, das der Antragsteller für verfassungswidrig hält. Dem Bund fehle die Gesetzgebungskompetenz, denn die Voraussetzungen aus den Artikeln 74 und 72 des Grundgesetzes lägen nicht vor, begründet der Senat der Hansestadt. Konkret stößt man sich an der Zuordnung des Betreuungsgeldes unter dem Titel „öffentliche Fürsorge“.

Voraussetzung wäre, daß diese sich auf eine Situation der Hilfsbedürftigkeit beziehe und noch dem Bild entspreche, das durch die klassische Fürsorge geprägt sei, argumentiert der Antragsteller. Eine „Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit“ liege nicht vor, da das Betreuungsgeld alleine davon abhängig sei, daß Eltern ein öffentliches Förderangebot nicht in Anspruch nähmen. „Das Betreuungsgeld ist zudem nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich“, behauptet der Hamburger Senat in seiner Begründung.

Es sei nicht erkennbar, daß das Gesetz darauf gerichtet, geeignet und erforderlich sei, einer tatsächlichen Situation entgegenzuwirken, in der sich die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik in einer das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigenden Weise auseinander entwickelt hätten oder sich eine derartige Entwicklung abzeichne, heißt es weiter.

Das Betreuungsgeld trage nicht zur Verringerung der vom Gesetzgeber angeführten Diskrepanz bei der Verfügbarkeit öffentlicher und privater Betreuungsangebote bei. Es sei zudem nicht erkennbar, daß die in einigen Bundesländern bereits vor der Einführung des Betreuungsgeldes bestehenden Erziehungsgeldgesetze Auswirkungen auf die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gehabt hätten, führt der Hamburger Senat ferner ins Feld.

„Es geht um eine zusätzliche Sozialleistung“

Darüber hinaus moniert der Antragsteller, daß das Betreuungsgeldgesetz seiner Ansicht nach „materiell verfassungswidrig“ sei, und sieht Verstöße gegen die Artikel 3 und 6 des Grundgesetzes. „Mit der Gratifikation für ein Aufwachsen außerhalb öffentlich geförderter Kinderbetreuungseinrichtungen führt das Betreuungsgeld eine Ungleichbehandlung anhand eines Kriteriums ein, das mit dem allgemeinen Gleichheitssatz im Lichte des Schutzes der Familie und des Elternrechts unvereinbar ist“, so die Begründung. Weiter: Auch der Aspekt der Anerkennung erzieherischer Leistung könne das Betreuungsgeld nicht rechtfertigen, da die Entscheidungsfreiheit der Familie in Bezug auf die Kinderbetreuung nicht unter Berücksichtigung des Neutralitätsgebots gefördert werde. Das Betreuungsgeld löse zudem bei Männern und Frauen unterschiedliche Effekte aus.

Die Bundesregierung hält das Betreuungsgesetz für verfassungskonform. Auch materiell sei das Gesetz verfassungsgemäß, hält man aus Berlin dagegen und argumentiert: „Es geht um eine zusätzliche Sozialleistung, bezüglich derer der Gesetzgeber über einen weiten Spielraum verfügt.“

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