© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Grüße aus Wien
Mörtel ist nicht da
René-Lysander Scheibe

Die Herren vom Balkan und aus dem Orient wirken etwas belemmert mit ihren leergetrunkenen Kaffeebechern in der Hand. Sie stehen scheinbar stundenlang am Eingang herum und passen doch zu Wiens Einkaufszentrum mit dem größten Prominenzfaktor.

In der Lugner-City treffen sich der vielbesungene echte Wiener samt goldenem Operettenherzen und der zugezogene Vorstadtbewohner samt seinen Nachfahren.

Denn hier gibt es nicht nur ein garantiert arthouse-freies Kinocenter und unzählige Gastronomieangebote der Kategorie „günstig & schnell“, sondern auch scheinbar ohne Ende Einkaufsmöglichkeiten. Der 82jährige Baumeister Richard Lugner eröffnete vor 25 Jahren seine Lugner-City – zwischen Gürtel und Stadthalle in zwar nicht nobler, aber verkehrsgünstiger Lage.

Belächelt vom traditionellen Wiener Ballpublikum, ist Lugner der Star des Boulevard.

Beinah unverändert besticht der Konsumtempel durch eine stilistische Buntheit, die auch als Folge der Abwesenheit jeglichen Gestaltungswillens gedeutet werden darf. Vor dieser unternehmerischen Großtat war Lugner ein umtriebiger Geist in der Wiener Baubranche. Er begann mit Althausrestaurierungen, errichtete die erste große Moschee in der Bundeshauptstadt und renovierte den Wiener Stadttempel der israelitischen Kultusgemeinde.

Danach vermarktete er vor allem seine City und nicht zuletzt sich selbst samt seiner Familie und seinen wechselnden Ehefrauen. „Mörtel“, wie ihn ein bekannter Wiener Boulevardjournalist taufte, sorgte für Aufmerksamkeit in eigener Sache, indem er seit 1992 (echte und weniger echte) Prominente in seine Loge am Wiener Opernball einlädt. Abschätzig belächelt vom traditionellen Wiener Ballpublikum, ist er der Star des Boulevard.

Seit Herbst ist „Richie Rich“ mit dem 25jährigen Playmate Cathy („Spatzi“) verheiratet, die Liebe überwindet locker den Altersunterschied von 57 Jahren. Ist Mörtel ein narzißtischer Selbstdarsteller? Vielleicht. Sicher aber ein noch immer tüchtiger Geschäftsmann. Denn diese Aufmerksamkeit für sein Einkaufszentrum könnte ihm keine PR-Kampagne sichern.

Wir schlendern weiter durch den Mausi-Markt (benannt nach einer früheren Frau Lugners) und erkundigen uns, ob er heute schon gesichtet wurde: nein, er sei wohl mit Cathy in ein verlängertes „Weekend“ verreist. Ein wenig enttäuscht gönnen wir uns ein paar Cocktails zu fünf Euro und fangen an, uns ein wenig heimisch zu fühlen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen