© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Fahren wie James Bond
Kfz-Markt: Die Einführung des EU-Notrufsystems „eCall“ läßt Konzerne, Politiker und Geheimdienste jubeln
Christian Schreiber

Maschinengewehr in den Blinkern, kugelsichere Verglasung, ausfahrbare Klingen – der Aston Martin DB5 von James Bond war vor fünfzig Jahren seiner Zeit weit voraus. Eines der Accessoires – ein Funktelefon – ist längst ein Billigartikel. Die Radaranlage des Sportwagens macht heute als Abstandswarner Mittelklasse-Pkws sicherer. Zwei technische Spielereien aus dem 18. Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“ ziehen zwei Jahrzehnte später ebenfalls in den Alltag ein: der Fingerabdruckscanner von Bonds BMW 750iL schützt iPhone- und Samsung-Telefone. Und auch die Fernsteuerung des 007-Dienstwagens per Mobilfunk ist keine Science-fiction mehr.

Dabei klingt alles zunächst harmlos: Die EU will zukünftig jene jährlich 2.500 Menschen retten, die einen Autounfall überlebt hätten, wäre ein Notruf bei den Rettungskräften früher eingegangen. Ermöglichen soll dies das elektronische Notrufsystem 112-eCall, welches ab April 2018 zur Pkw-Pflichtausstattung gehört (JF 51/13). Das neue Gerät arbeitet mit einer identifizier- und ortbaren Mobilfunk-SIM-Karte und soll bei einem Unfall automatisch die Notdienstzentrale 112 anrufen. Das spart kostbare Zeit, etwa wenn der Fahrer bewußtlos ist. Durch die genaue Kenntnis des Unfallorts halbiere sich vor allem in ländlichen Gebieten die Zeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte.

„Türöffner für weitreichende Datennutzung“

Schon jetzt sammeln eingebaute Autonavigationssysteme Daten über die täglichen Wege des Fahrers. Doch eCall schafft die Basis für die permanente und totale Überwachung aller Pkws – durch die beteiligten Konzerne und den Staat. 2011 behauptete die EU-Kommission noch, das eCall-System sende keine Signale und werde nur bei einem Unfall aktiviert. Zudem würden lediglich Ort und Zeitpunkt des Unfalls, die Fahrzeugklasse und dessen Treibstoffart weitergegeben. Die gesammelten Daten würden automatisch gelöscht, heißt es aktuell aus EU-Gremien – doch warum muß etwas gelöscht werden, wenn angeblich keine Signale gesendet werden? Die eCall-Plattform zwingt jeden in der EU zugelassenen Neuwagen ins Internet. Was bei Mietwagen sinnvoll ist, macht alle Autobesitzer zum „Gläsernen Bürger“. Das System sei „ein trojanisches Pferd“, mahnt der Wirtschaftsrechtler Volker Lüdemann von der Hochschule Osnabrück in der Frankfurter Rundschau. „Die EU nimmt es bewußt in Kauf, daß der eCall unter dem Deckmantel der Lebensrettung zum Türöffner für weitreichende Datennutzung wird.“

Auch die Kosten für die Technik sind ungeklärt. Schätzungen gehen von 100 bis 250 Euro pro Fahrzeug aus. Rentieren tut sich das Gesamtsystem nur über kostenpflichtige Zusatzleistungen. So führte Opel unlängst seinen eigenen eCall-Dienst „OnStar“ ein. Der Mutterkonzern General Motors betreibt das System schon seit 1996 und spricht von einem „durchschlagenden Erfolg“. Auf den Straßen der USA und Chinas seien über sieben Millionen OnStar-Autos unterwegs. In der EU sind bislang kaum ein Prozent aller Fahrzeuge mit solchen Technologien ausgerüstet.

Außerdem sind hierzulande noch technische Probleme zu lösen. Allein in Deutschland wurden 2014 rund 30 Millionen Notrufe bei Polizei, Rotem Kreuz oder der Feuerwehr gemeldet. Damit eCall reibungslos arbeiten kann, müssen jedoch alle Rettungsleitstellen in der EU für den Empfang ausgerüstet werden. Dies soll spätestens im Oktober 2017 der Fall sein – doch gerade auf Straßen abseits von Ballungsgebieten ist der Mobilfunk-Empfang oftmals schlecht. Aber gerade dort könnte eCall die meisten Menschenleben retten.

Der im März beschlossene eCall-Rahmen erlaubt zwar alternative Notrufsysteme wie „ConnectedDrive“ von BMW oder „OnStar“ von Opel. Doch die Notrufzentralen der Autohersteller lotsen die Betroffenen zu eigenen Markenwerkstätten, was für Verbraucher teuer, für die Konzerne aber ein Zusatzgeschäft ist. Die Datennutzungseinschränkungen des gesetzlichen eCall gelten hier nicht. Freie Werkstätten, Hilfsdienste und Teilehändler fürchten daher, daß sie bei einer Pannenmeldung künftig benachteiligt werden – denn es geht um einen Milliardenmarkt. Wer seinen Pannenservice zum Unfallort lotsen kann, kontrolliert damit auch große Teile des Werkstattnetzes.

Basis für EU-konforme und flächendeckende Maut?

Die Hersteller drängen Kunden dazu, ihre Nutzerdaten freizugeben, um die Fähigkeiten ihrer Autos angeblich voll auszunutzen. Versicherer locken mit Prämienrabatten – und verweigern dann die Schadenregulierung, wenn dadurch Regelverstöße bekannt werden. Solche Mehrwertdienste alarmieren Experten. Hartmut Röhl, Präsident des Gesamtverbands Autoteile-Handel (GVA), warnte im Sender n-tv, daß bei den Markendiensten gleichzeitig Daten zurück ins Auto fließen – so wie 1997 bei Bonds 750er BMW. Es ist prinzipiell möglich, Fahrzeuge per Mobilfunk von außen zu steuern oder sogar stillzulegen. Datenschützer sehen zudem die Gefahr, daß Routen und Positionen von Autofahrern jederzeit abrufbar sind – auch von Computerhackern und Geheimdiensten.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) freut sich besonders über die standardisierte eCall-Schnittstelle „für den Austausch von Kfz-Daten“. Die Autofahrer könnten sich dadurch „für das beste Angebot und für den von ihnen bevorzugten Dienstleister entscheiden“, behauptet Bernhard Gause von der GDV-Hauptgeschäftsführung. Doch auch die Polizei wird irgendwann – ähnlich wie beim Mobilfunk – Zugriff auf die eCall-Schnittstelle erhalten. Damit lassen sich nicht nur Terroristen jagen, auch Temposünder bleiben dank Routen nicht mehr anonym. Mit einer SIM-Karte in jedem Auto läßt sich zudem eine flächendeckende – und EU-konforme – Straßenmaut realisieren. Und das ist ebenfalls keine Science-fiction mehr.

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