© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Bismarck, wie ich ihn lese, ist nicht ein Mann mit ‘napoleonischen’ Ideen, sondern mit solchen, die napoleonischen weit überlegen sind; zeigt keine unüberwindliche ‘Ländergier’ und wird auch nicht von ‘gemeinem Ehrgeiz’ geplagt usw., sondern hat Ziele, die weit über dieser Sphäre liegen, und scheint mir in der Tat mit starker Fähigkeit, durch geduldige, große und erfolgreiche Schritte einem Ziel zuzustreben, das für die Deutschen und alle andern Menschen segensreich ist.“ (Thomas Carlyle, Brief an die Times vom 11. November 1870)

Gideon Böss ist Kolumnist der Welt. In dieser Funktion hat er einen Beitrag zum Karfreitag geschrieben. Der geht ungefähr so: Es handelt sich um eine Zumutung für alle Nichtchristen, denen die Christen ihre miesepetrige Sicht der Dinge aufnötigen, was einer liberalen Demokratie unwürdig sei. Da ist der Hinweis an den Kollegen wichtig, daß das Wort „liberal“ im Grundgesetz nicht vorkommt (das Wort „Pluralismus“ übrigens auch nicht), aber das Wort „Gott“ schon. Was sicher Ursachen hat. Ansonsten bleibt nur das Staunen darob, daß die Mehrheitseignerin des Springer-Konzerns (die der frommen Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche angehört) und dessen Vorstandsvorsitzender (immerhin der Neffe eines Kardinals) jahrein, jahraus dulden, daß in ihrem Leitorgan solche Unflat und ähnliche Unflat über die christliche Lehre und das Christentum ausgegossen wird. Aber vielleicht sind sie von der Überflüssigkeit des Blattes mittlerweile genauso überzeugt wie der Schreiber dieser Zeilen.

Prinzipien sind sogar aus dem Jargon der Politiker verschwunden.

Das Echo zum Bismarck-Jubiläum fällt erstaunlich wohlwollend aus. An zweierlei übt aber selbst die freundlichste Darstellung Kritik: an der Isolation Frankreichs als außenpolitische Strategie nach 1871 und an Bismarcks Innenpolitik, vor allem im Hinblick auf das Sozialistengesetz. Es sei zweierlei zu Bedenken gegeben. Erstens: Welches Verhalten gegenüber Frankreich wäre vorstellbar gewesen, um es von der Fixierung auf die Revanche wegzubringen, abgesehen vielleicht davon, den besiegten Feind um mindestens ein Drittel seines Territoriums zu reduzieren und den Rest in Kleinstaaten zu zerschlagen, was Frankreich gegenüber Deutschland im 20. Jahrhundert mehrfach umzusetzen versuchte? Zweitens: Wie soll man eine Partei behandeln, die offen den blutigen Umsturz fordert und die geltende Verfassungsform radikal beseitigen will; ist da nicht ein Verbot bei fortgeltend eingeräumter Erlaubnis zur Agitation und Wahlbeteiligung recht großzügig, vergleicht man das mit heutigen Kriterien für die legale Existenz und ungehinderte Betätigung einer Partei, die die bestehende Ordnung in Frage stellt?

Reinhold Messner hat ein unbezwingbares Bedürfnis, sich gegen alles zu stellen, was der Mehrheit seiner Südtiroler Landsleute heilig ist: die Abgrenzung gegenüber den „Welschen“, das Beharren auf dem Rechtsstandpunkt, der Bezug zum Gesamt-österreichischen, wenn nicht Deutschen, das Bergsteigen als Teil nicht nur des individuellen, sondern auch des nationalen Wettbewerbs und nun sogar das Aufstellen von Gipfelkreuzen. Die Tatsache, daß die Errichtung vor und während des Freiheitskampfs gegen Napoleon in Gang gekommen ist, macht sie ihm sowieso suspekt, aber das Argument, daß „die Berge den Menschen von jeher heilig waren …, weil ihnen die Natur heilig war“, ist das, was Messner im Hinblick auf das Gipfelkreuz meint: „Humbug.“ Sowenig es eine Religion ohne Götter geben kann – und das sind dann natürlich spezifische –, sowenig war dem Menschen je die Natur als solche heilig. Man darf sogar bezweifeln, daß er in seinen Anfängen einen Begriff von Natur hatte. Eher einen von Macht oder Übermacht, die sich in den Göttern manifestierte. Die hat man gnädig zu stimmen oder für sich zu gewinnen gesucht, auch auf den Bergen. Seit alters wurden Opfergaben zu den Bergen getragen, wie etwa die kleinen Kinder, die die Aristokraten der Inka in den Höhen zum Wohlgefallen ihrer Götter erfrieren ließen, oder die Axtklingen, die man eingrub, oder man verherrlichte die Höheren dadurch, daß sie oder ihre Diener abgebildet wurden, mit großen Gravuren an den Abhängen und Felswänden bis zur Bergspitze. Messner kann sich davon vor seiner Haustür überzeugen: im lombardischen Val Camonica oder am Mont Bégo in den Seealpen.

„Bismarck sah gerade in der Größe des von ihm ausgeübten deutschen Einflusses die Verpflichtung, mit ihm keinen Mißbrauch zu treiben (…) Insofern blieb für Bismarck das Wort Rankes maßgebend, daß entschiedenes positives Vorwalten einer einzigen Macht den anderen zum Verderben gereichen würde: ‘Eine Vermischung aller würde das Wesen eines jeden vernichten. Aus Sonderung und reiner Ausbildung wird die wahre Harmonie hervorgehen.’“ (Ulrich von Hassell, Februar 1941)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 24. April in der JF-Ausgabe 18/15.

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