© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Deutschland gegen die „Händlernation“: Ideengeber des deutschen Generalstabs?
Nicht Nietzsches Krieg
(wm)

Einer Legende zufolge sollen die studentischen Freiwilligen 1914 mit den spirituellen Helden der deutschen Kultur und Größe, nämlich Goethes „Faust“ und Nietzsches „Zarathustra“ im Tornister aus dem Hörsaal ins Feld gezogen sein. Entsprechend meinte der Berliner Nationalökonom Werner Sombart, Deutschland fechte gegen die englische „Händlernation“ „Nietzsches Krieg“ aus. Die Entente-Propaganda reagierte auf diese positive Vereinnahmung mit einer Dämonisierung des 1900 verstorbenen Philosophen, indem sie den „Bellizisten“ als einen der Urheber des deutschen „Militarismus“, als Ideengeber des deutschen Generalstabes und des Kaisers attackierte. Dagegen bestätigt Rolf Zimmermanns (Universität Freiburg) neuerliche Sichtung der Nietzsche-Rezeption während des Ersten Weltkriegs (Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 4/2014), was ältere Studien als „Verzeichnungen“ von Nietzsches Denken erkannten, die im „Krieg der Geister“ hüben wie drüben oft bis zur Karikatur gerieten. Es sei daher nicht möglich, die Rezeptionsgeschichte als Entfaltung von Sinngehalten seiner Philosophie zu konzipieren. Vielmehr handle es sich um eine „Dissonanzgeschichte“ politischer Instrumentalisierungen und philosophischer Zerrbilder, die nicht Nietzsche anzulasten seien, sondern dem „Geisteszustand“ seiner Rezipienten.

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