© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/15 / 10. April 2015

Wie bekommen wir alle satt?
Zwei Publizisten auf der Suche nach Nahrung für zehn Milliarden Menschen / Perspektiven ohne einen unerwünschten „agro-industrieller Komplex“
Heiko Urbanzyk

Im Jahre 2050 werden zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Der Regisseur Valentin Thurn („Taste the Waste“) und der Buchautor Stefan Kreutzberger („Die Ökolüge“) nehmen diese Zahl in „Harte Kost“ als unvermeidbar an und fragen: „Wie werden wir alle satt?“ Dies ist zugleich der Untertitel der von Thurn verantworteten Dokumentation „10 Milliarden“, die am 16. April in die deutschen Kinos kommt.

Das Buch verbindet die lebhafte Beschreibung der Dreharbeiten von Valentin Thurn mit Sachbeiträgen von Stefan Kreutzberger. Und das Konzept funktioniert! Thurn und Kreutzberger spielen sich die Bälle gegenseitig zu. Mustergültig hierfür ist das Kapitel „Geld regiert die Welt“. In diesem geht es um die Spekulation mit Nahrungsmitteln durch Investmentfonds und andere Akteure. Thurn spricht mit dem Rohstoffhändler Scott Shellady vom Chicago Bord of Trade (CBOT). Dies ist die älteste und größte Rohstoffbörse der Welt. Shellady, selbst Bauer, ist überzeugt: „Die Bauern brauchen die Börse, wenn sie ihre Ware vor der Ernte verkaufen wollen, und der Handel braucht sie, um Preisschwankungen auszugleichen.“ Der Handel mildere jahreszeitliche Schwankungen. Ohne die Spekulationen im Vorfeld der Ernte würden die Bauern gerade in der Erntezeit, also dem Zeitpunkt des größten Angebots, mit den niedrigsten Preisen abgestraft.

Nahrungslager sind so leer wie seit vierzig Jahren nicht

Unsympathisch, doch wortgewandt präsentiert sich „der Guru“ der amerikanischen Rohstoffmärkte: Jim Rogers, der Gründer des weltweit wichtigsten Roh-stoffindex’ „Rogers International Commodity Index“ (RICI). Rogers prophezeit, daß in den kommenden zwanzig Jahren die größten Reichtümer durch Investitionen in der Landwirtschaft entstehen: „Nicht am Aktienmarkt. Investieren Sie in Saatgutfirmen, Traktor- oder Düngerhersteller oder in Plantagen…“ Für Rogers sind Preiserhöhungen durch Spekulationen ein Segen für die Landwirtschaft. Hohe Selbstmordraten unter verschuldeten Bauern gäbe es nicht nur in Indien, sondern auch in Großbritannien. Hohe Preise ermöglichten den Bauern einen gesicherten Lebensunterhalt, Investitionen und regten sie zu noch mehr Produktion an. Und was geschieht mit den Armen, die sich teure Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten könnten? „So hat die Welt schon immer funktioniert. Das läuft schon so seit Hunderten von Jahren“, meint Rogers. „Es ist schlicht unvermeidbar, daß einige unter den steigenden Preisen leiden werden.“

Rogers’ Zynismus entbehrt nicht gewisser Logik: Einer leidet immer. Entweder der Bauer unter niedrigen Preisen, oder die afrikanische Familie unter hohen Preisen. Gegen die Bösewichtrolle wehrt sich Rogers vehement. Die aktuellen Preisschwankungen bei Lebensmitteln rühren laut Rogers nicht von den Spekulationen her, sondern weil die Nahrungslager so leer seien, wie seit vierzig Jahren nicht. Außerdem: Jeder, der ein Haus oder Münzen kaufe und auf Wertsteigerung hoffe, sei selbst ein Spekulant.

Demgegenüber schildert Kreutzberger das „Geschäft mit dem Hunger“. Er berichtet über die Preisschwankungen und ihre Auswirkungen bei den Betroffenen. Er stellt die Argumente von Akteuren wie der Welthungerhilfe, Misereor, Attac und Campact vor. Diese messen den Spekulationen auf Nahrung einen großen Anteil an den Preissteigerungen bei. Letzteres verneinen die zuvor befragten Akteure gar nicht, sondern sehen es als Dienst an den Bauern.

Weil „Harte Kost“ Alternativen aufzeigen möchte, wird in diesem Zusammenhang die Regionalwert AG aus Breisach vorgestellt. Eine Bürgergenossenschaft, die mit ihren 2,5 Millionen Euro Stammkapital regionale, ökologische Landwirtschaft vom Anschubkredit bis zum Vertrieb fördert. Das System läuft den Beschreibungen nach reibungslos – ohne Spekulationen auf künftige Ernteerträge, ohne Planwirtschaft. Gewinnstreben wird dabei nicht verleugnet. Ohne Gewinne auch keine ökologische Wirtschaft.

Zugegeben, das Buch hat eine klare Tendenz. Thurn läßt zwar den Buhmännern aus Agro-Industrie, Gentechnik und Wirtschaft freien Raum zur Selbstdarstellung ihrer Ideen und Projekte. Kreutzberger tritt danach aber als Aufklärer auf, der die Lobpreisungen des Establishments relativiert oder entlarvt. Warum nicht? Am Ende erfährt der Leser eine Vielzahl an Für- und Gegenargumenten zu Dutzenden Aspekten der zukünftigen Welternährung.

Den letzten Beweis, daß die Alternativen zum agro-industriellen Komplex zehn Milliarden Menschen ernähren könnten, bleibt das Buch erwartungsgemäß schuldig. Solche Dimensionen kennen kein Patentrezept.

Stefan Kreutzberger, Valentin Thurn: Harte Kost.Wie unser Essen produziert wird. Ludwig Verlag, München 2014, broschiert, 320 Seiten, 16,99 Euro

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