© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Einer muß es ja machen
Bundestagswahl 2017: Die SPD macht sich bereits jetzt Gedanken über einen Kanzlerkandidaten
Paul Rosen

Mangel an Selbstbewußtsein ist nicht das Problem von Sigmar Gabriel: „Wir führen dieses Land“, stellte der SPD-Vorsitzende, Vizekanzler und Wirtschaftsminister in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung fest. Aber wenn Gabriel in die Pressemappe seines Ministeriums schaut, kann er andere Überschriften lesen: „Deutsche halten Gabriel für chancenlos“, titelte etwa die Welt, die Süddeutsche Zeitung erkannte eine „Verzwergung der SPD“, die Zeit sah „blockierte Herzen“ bei den Roten und der Stern Gabriel im falschen Amt. Zuhauf gab es Vorschläge, wer 2017 besser gegen Kanzlerin Angela Merkel antreten könnte.

Die Umfragewerte sind in der Tat bescheiden. Infratest dimap ermittelte, daß lediglich 18 Prozent der Bundesbürger Gabriel die besten Chancen geben, gegen Merkel zu gewinnen. Für Außenminister Frank-Walter Steinmeier sind 40 Prozent. Geringere Aussichten als Gabriel werden dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (acht Prozent) oder dem bis 2017 noch amtierenden Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz (sechs Prozent) zugebilligt.

Dabei hat Gabriel das Optimum erreicht, was ein Partner in einer Koalition erreichen kann. Seine Genossen werden ihm kaum widersprechen, wenn er sagt: „Alle entscheidenden Projekte dieser Regierung stammen von uns. Wir sind in 14 von 16 Landesregierungen vertreten und stellen dabei neun Ministerpräsidenten.“ Dennoch dümpelt die SPD auf Bundesebene in Umfragen bei 23,5 Prozent (Insa), und niemand glaubt, daß sich das kurzfristig ändern könnte. Es sind bereits resignative Töne zu hören: „Frau Merkel verkörpert nahezu idealtypisch, was die Deutschen sich in dieser Rolle erwarten“, sagte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig, selbst einer der Hoffnungsträger in der SPD. Er scheint die Wahl schon verloren gegeben zu haben: „Vielleicht müssen wir noch eine Weile warten, bis wir wieder Autogrammkarten eines sozialdemokratischen Kanzlers verteilen können.“

Kritik am Vorsitzenden und Vizekanzler liegt in der Luft und trifft den Nerv der Partei. Sonst hätte ein Pressegespräch des unbedeutenden SPD-Abgeordneten Axel Schäfer aus Bochum nicht so heftigen Wirbel ausgelöst: „Wer einen Europawahlkampf so gut meistert wie Martin Schulz, ist auch prädestiniert für die führende Rolle in einem Bundestagswahlkampf.“ Dabei hatte Schulz nicht viel mehr Prozente für das Straßburger Parlament erzielt, als der SPD heute in Umfragen für die Bundestagswahl zugerechnet werden.

Die SPD muß auf Fehler der Kanzlerin hoffen

Aber der Anstoß von Schäfer reichte aus, gleich eine Kanzlerkandidatendiskussion auszulösen, in der neben Schulz, Steinmeier und Scholz sogar Familienministerin Manuela Schwesig und Arbeitsministerin Andrea Nahles genannt wurden. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft tauchte ebenfalls in etlichen Spekulationen auf.

Natürlich hat die Partei ein Problem mit Gabriel. Die Hauptschwierigkeit kennt auch die CSU von ihrem Chef: Wie der Bayer Horst Seehofer gebärdet sich der Niedersachse Gabriel völlig unabhängig von eigenen Positionen. „Mir kommt es so vor, als sei Sigmar Gabriel an geraden Tagen für das Freihandelsabkommen TTIP und an ungeraden dagegen“, amüsierte sich Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Die Sprunghaftigkeit hängt natürlich mit dem Amt des Wirtschaftsministers zusammen: „Für und gegen Waffenexporte, für und gegen Kohle zur Stromgewinnung, für und gegen Fracking bei der Suche nach Öl und Gas“, listete der Stern Gabriels Positionen auf. Da kommen weder Parteibasis noch Öffentlichkeit mit, zumal wenn Gabriel als „Privatmannn“ in Dresden das Gespräch mit Pegida-Leuten suchte, die zuvor von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi als „geistige Brandstifter“ bezeichnet wurden. Allerdings ist nicht nur der Umgang mit Andersdenkenden in der SPD umstritten: Wer nach sozialdemokratischen Positionen zur Erbschaftsteuer, zur Flüchtlingspolitik oder zum Umgang mit Griechenland fragt, kann mit einem schillernden Meinungsspektrum rechnen.

Würde man den Demoskopen folgen, müßten die Sozialdemokraten wieder Steinmeier aufstellen. Nur der Außenminister war bereits 2009 Kanzlerkandidat (Gabriel war Vorsitzender) und verlor gegen Merkel. Steinmeier, der den Charme einer Büroklammer verbreitet, hätte aus heutiger Sicht nicht den Hauch einer Chance gegen Merkel – genausowenig wie Schulz oder Scholz. Gabriel weiß, daß er antreten muß. Wenn er noch einmal einem anderen den Vortritt läßt, käme das dem Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit gleich. Aussichten auf den Kanzlerjob (ob durch Mißtrauensvotum oder Bundestagswahl) hat er aber nur, wenn Merkel noch mehr Fehler macht.

Zwei sind ihr bereits unterlaufen: die Festlegung auf Griechenlands Verbleib im Euro und auf das Euro-Projekt selbst sind hochgradig riskant. Zudem hat ihre Äußerung, der Islam gehöre zu Deutschland, die CDU zutiefst verstört. Noch ein Lapsus dieser Art oder eine Zuspitzung der Lage in Griechenland mit Meuterei in der CDU könnten schon in den nächsten Wochen die festgefügten Strukturen im Bundestag aufbrechen und die Kanzlerschaft für Gabriel in Reichweite bringen.

Da eine Wechselstimmung wie 1982 für Helmut Kohl und wie 1998 für Gerhard Schröder bisher nicht da ist, braucht es für den Regierungswechsel einen Ränkeschmied und Bändiger für die erforderliche Koalition mit den unberechenbar erscheinenden Linken. Das könnten weder Schulz noch Scholz, noch Steinmeier, sondern das kann nur Gabriel, der sich auch schon öffentlich für die Kanzlerkandidatur empfiehlt: „Ein SPD-Vorsitzender, der sich das nicht vorstellen könnte, wäre fehl am Platz.“

Foto: SPD-Politiker Sigmar Gabriel und Martin Schulz: Kaum Aussicht auf Besserung