© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Ideologischer Grabenkampf ums Kind
Familienpolitik: Bei der Verhandlung über das Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht prallen Welten aufeinander
Taras Maygutiak

Seit Dienstag verhandelt der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts über das Betreuungsgeld. Wer findet, daß sein Kind bis zum dritten Lebensjahr zu Hause besser aufgehoben ist als in einer öffentlich geförderten Betreuungseinrichtung, hat seit dem 1. August 2013 Anspruch auf das Betreuungsgeld. Zunächst waren es monatlich 100 Euro, mittlerweile werden pro Kind und Monat 150 Euro gezahlt.

In Karlsruhe liegt der Zankapfel jahrelanger politischer Grabenkämpfe, weil der Hamburger Senat eine sogenannte abstrakte Normenkontrolle beantragt hatte. Niedersachsen hat sich dem Antrag angeschlossen. Das Betreuungsgeld werfe etliche staatsorganisationsrechtliche sowie grundrechtliche Fragen auf, erklärte der Vorsitzende des Ersten Senats Ferdinand Kirchhof in seiner Eingangsrede. Im Kern geht es dabei darum, ob der Bund, der die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das Recht der „öffentlichen Fürsorge“ in Artikel 74 des Grundgesetzes habe, allein bei individuellen und existentiellen Notlagen helfen dürfe oder ob er auch bestimmte Familiensituationen subventionieren darf. Zum zweiten sei zu klären, ob der Bund diese Kompetenz zur Gesetzgebung auch im konkreten Fall ausüben könne. Der Bund und Bayern, das sich der Argumentation der Bundesregierung angeschlossen hat, bejahen das und weisen auf das Gesamtkonzept hin, das einen bundesweiten Anspruch entweder auf einen Platz in einer Kindertagesstätte oder auf das Betreuungsgeld bereitstellt.

Zum dritten wird sich das Gericht mit den grundrechtlichen Fragen befassen, die der Antragsteller moniert hat: Das Betreuungsgeldgesetz ist nach Ansicht des Hamburger Senats „materiell verfassungswidrig“ und verstößt gegen die Artikel 3 und 6 des Grundgesetzes. Das Betreuungsgeld führe, so die Argumentation, zu einer Ungleichbehandlung, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz im Lichte des Schutzes der Familie und des Elternrechts unvereinbar sei. Weiter: Auch der Aspekt der Anerkennung erzieherischer Leistung könne das Betreuungsgeld nicht rechtfertigen, da die Entscheidungsfreiheit der Familie in bezug auf die Kinderbetreuung nicht unter Berücksichtigung des Neutralitätsgebots gefördert werde.

Der Hamburger Familiensenator Detlef Scheele (SPD) zog verbal gegen das Betreuungsgeld ins Feld. Ein Drittel der Kinder in Hamburg lebten von staatlicher Unterstützung, die Hälfte aller Kinder habe Migrationshintergrund. Er machte keinen Hehl daraus, daß er die Kinder in den Krippen besser aufgehoben sehe.

„Ausdruck elterlicher

Entscheidungsfreiheit“

Er verwies auf Erfahrungen aus Schweden und Finnland, nach denen gerade junge Frauen mit niedrigem Bildungsstand sich eher für das Betreuungsgeld entschieden hätten und fürchtet in Deutschland eine ähnliche Entwicklung. Das Betreuungsgeld sei „ein Anreiz, das Krippenangebot nicht anzunehmen“. Scheele bemängelte zudem, daß Eltern, die eine staatlich geprüfte Tagesmutter engagierten, kein Bereuungsgeld bekämen; kümmere sich jemand anderer um die Kinder, hätten die Eltern jedoch einen Anspruch darauf. Wie ein roter Faden zog sich durch seine Argumentation, daß man auf Antragstellerseite davon ausgeht, daß Erziehung von staatlicher Seite per se professioneller und besser für die Kinder ist.

Staatssekretär Ralf Kleindiek aus dem Bundesfamilienministerium unterstrich, daß sich das Betreuungsgeld auf den Kompetenztitel „öffentliche Fürsorge“ stützen lasse. Mit der Argumentation der Antragsteller müßte man ansonsten auch Sonderhilfen, das Opferentschädigungsgesetz, das Eltern- und das Kindergeld in Frage stellen, führte Kleindiek aus: Beim Betreuungsgeld handle es sich um eine Vervollständigung der Betreuung und eben nicht wie vom Antragsteller behauptet „einen Bonus für die Nicht-Inanspruchnahme der geförderten Krippenplätze“.

Staatsministerin Emilia Müller aus der Bayrischen Staatskanzlei brach eine Lanze für das Betreuungsgeld: „Es hat sich bewährt, das ist echte Wahlfreiheit.“ Hatten Anfang 2014 noch rund 140.000 Familien das Betreuungsgeld in Anspruch genommen, so waren es Ende 2014 bereits rund 400.000 Familien. Viele Eltern wollten sich eben selbst um ihre Kleinsten kümmern, meinte die Ministerin. Sie prangerte bei der Argumentation der Antragsteller an, daß Eltern die Kompetenz abgesprochen werde. Die Möglichkeit, wahlweise das Betreuungsgeld in Anspruch zu nehmen, sei „Ausdruck der elterlichen Entscheidungsfreiheit“. Den angeführten Befürchtungen Scheeles, ebenfalls wie in Schweden und Finnland schlechte Erfahrungen in Deutschland zu machen, hielt Müller die Ergebnisse einer repräsentativen Studie von zwei- bis vierjährigen Kindern aus acht Bundesländern entgegen. Ergebnis dort: Kinder – auch ausländischer Abstammung – seien zu Hause genauso gut aufgehoben.

Ein Krippenplatz kostet übrigens 9.450 Euro pro Jahr. Gerade einmal 1.800 Euro koste es den Staat pro Jahr, wenn Eltern stattdessen das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen. Zur Finanzierung des Betreuungsgeldes stellt der Bund dieses Jahr rund 900 Millionen Euro zur Verfügung. Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.

Kommentar Seite 2