© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Jean-Marie Le Pens letztes Gefecht
Front National: Mit seinen Äußerungen zum Holocaust forderte der Parteigründer seine Tochter heraus – und zog den kürzeren
Friedrich-Thorsten Müller

Ausgerechnet am Gründonnerstag, dem Tag, an dem Jesus durch Judas verraten wurde, entwickelte sich in Frankreich ein Interview Jean-Marie Le Pens mit der rechten Zeitschrift Rivarol zum Skandal. Der Ehrenvorsitzende des Front National (FN) hatte zuvor in einem TV-Interview seine Bewertung des Holocausts als ein „Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ wiederholt. Eine Aussage, für die er 1991 rechtskräftig verurteilt wurde, mit der er aber – wie er sagt – nur darauf anspielt, daß „in einem Buch von 1.000 Seiten über den Zweiten Weltkrieg die Konzentrationslager zwei Seiten und die Gaskammern zehn bis zwanzig Zeilen in Anspruch nehmen.“

Gegenüber Rivarol äußerte er sich zudem wohlwollend über Wladimir Putin als möglichen Helfer für „die Rettung des weißen Europas“ und gleichzeitig abfällig gegenüber Einwanderern, wie Manuel Valls, den französischen Premierminister. „Valls ist seit 30 Jahren Franzose, ich bin es seit 1.000 Jahren. Was ist die Bindung von Valls an Frankreich, was hat er unserem Land gebracht?“, so der FN-Gründer.

Darüber hinaus verteidigte er erneut das Weltbild des Marschall Pétain, der von 1940 bis 1944 Staatschef des mit dem Deutschen Reich kollaborierenden Vichy-Frankreichs war und für die Werte „Arbeit, Familie, Vaterland“ statt „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ stand.

Es verwundert wenig, daß er mit diesem Rundumschlag gegen die wichtigsten Heiligtümer der Fünften Republik nicht nur die gesamte politische Klasse Frankreichs gegen sich aufbrachte, sondern auch seine eigene Tochter. Marine Le Pen, die sich seit ihrer Übernahme des Parteivorsitzes vor vier Jahren erfolgreich um die „Entteufelung“ der Partei bemüht und sich anschickt, den FN zur stärksten Partei Frankreichs zu machen, kommen solche Äußerungen mehr als ungelegen. Entsprechend harsch war ihre Reaktion. Sie bezeichnete diese Äußerungen als „politischen Selbstmord ihres Vaters“ und kündigte an, ein Parteiordnungsverfahren einzuleiten. Darüber hinaus will sie den 86jährigen aus seinen politischen Ämtern drängen. Am Montag erklärte der Senior unter diesem Druck bereits seinen Verzicht als Spitzenkandidat für die Regionalwahlen im Dezember in der für den FN aussichtsreichen Mittelmeerregion PACA. Er kam damit seiner Absetzung zuvor.

Niemand von Rang und Namen im Front National mag Jean-Marie Le Pen in dieser Krise zur Seite stehen. Parteivize Florian Philippot erklärte lapidar: „Die Leute erwarten von uns, daß wir über die Probleme Frankreichs, wie die Arbeitslosigkeit, die Kriminalität, den Islamismus […] reden und uns nicht mit unnützen Provokationen beschäftigen.“ Selbst die 25jährige FN-Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen – erklärte Lieblingsenkelin des Parteigründers – distanziert sich mit ähnlichen Worten nach einem 36stündigen Schweigen von ihrem Großvater. Der wiederum sprach von „Verrat durch die eigenen Leute“, ging aber nicht weiter auf Konfrontationskurs.