© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

„Wir leben von Mundpropaganda“
Interview: Die Glockengießerei Grassmayr ist seit mehr als 400 Jahren im Geschäft
Wolfhard H. A. Schmid

Jesus nahm Petrus, Johannes und Jakobus beiseite und stieg mit ihnen auf einen Berg, um zu beten. Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiß“, so schildert das Lukas-Evangelium die Verklärung des Herrn. Als Begegnungsort gilt der biblische Weltenberg, der Tabor in Galiläa. Die 15,7 Tonnen schwere Taborglocke des griechisch-orthodoxen Klosters auf dem Berg stammt hingegen nicht aus dem Heiligen Land, sondern vom ältesten Familienunternehmen Österreichs – der Glockengießerei Grassmayr in Innsbruck. In über hundert Ländern auf allen fünf Kontinenten erklingen Glocken der Traditionsfirma.

Herr Grassmayr, Ihr Vorfahr Bartlme Grassmayr gründete 1599 in Tirol die noch heute bestehende Glockengießerei. Wer leitet heute das Unternehmen?

Grassmayr: Wir haben keine strenge Aufgabenteilung. Mein Bruder Peter ist in erster Linie für Produktion und Technik zuständig und ich für den Verkauf und Export. Um flexibel zu sein, kann aber jeder den anderen vertreten.

Konzentration auf das Wesentliche

Mit Turmuhren, Bronzetafeln, Glocken- und Figurenspielen oder Orchester- und Klangschalen bieten Sie eine breite Produktpalette. Ist der Grund dafür ein Rückgang der Glockengußaufträge?

Grassmayr: Vor einigen Jahren waren wir noch breiter als heute aufgestellt. Dann haben wir uns auf das konzentriert, wo wir unsere Kompetenz haben. Dies hat sich als Erfolg erwiesen. In unserer Strategie haben uns die Jesuiten beeinflußt: „Worin liegt die tiefe innere Sehnsucht?“ und „Konzentration auf das Wesentliche“. Trotz Rückgang des Glockenmarktes gießen wir heute viermal so viele Glocken wie vor 15 Jahren. Unser Ziel ist es, Qualitätsführer zu sein. Ich sage immer, was der Antonio Stradivari im Geigenbau war, müssen wir als Glockengießer sein. Innovationen müssen zur ständigen Qualitätsverbesserung beitragen.

Sie werben mit: „Langfristiges Denken im Sinne von Kundenzufriedenheit und erfolgreicher Fortbestand des Unternehmens sind wesentlicher als kurzfristige Gewinnmaximierung.“ Sorgen Sie sich nicht wegen zu hoher Fixkosten?

Grassmayr: Nein! In der Herstellung haben unsere Mitarbeiter sogar die Freiheit ohne Zeitdruck zu arbeiten, denn die Orientierung liegt in der Qualität. Dafür haben wir die Verwaltung auf das Wesentliche reduziert. Mit Hilfe einer transparenten Buchhaltungssoftware kann ich jederzeit die aktuelle Kostensituation, den Auftragsbestand und Umsatz abfragen, um schnell zu reagieren.

Ihre Handwerkskünste sind unbestritten, doch die Technik bleibt nicht stehen.

Grassmayr: Bei uns werden Neuentwicklungen durch unsere Praktiker realisiert. Nur wenn es etwa um Grunderkenntnisse wie bei den Werkstoffen geht, arbeiten wir gezielt mit dem Fraunhofer Institut oder Hochschulen zusammen.Wir werden im Glocken- und Klangkörperbereich in fünf Jahren Dinge machen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Als Beispiel soll dazu der Nachguß von historischen Glocken von 1566 für die Kirche St. Sebastian in Oettingen (Bayern) dienen, den wir vor fünf Jahren auf den damals neuesten Erkenntnissen beruhenden hergestellt haben. Wir investieren laufend in unsere Anlagen und in die Technik – denn „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers!“, wie Gustav Mahler befand.

Haben Sie keine Probleme …

Grassmayr: Dazu möchte ich als Bergsteiger antworten. Wir sehen beim Klettern nur den Gipfel, nicht die Kletterprobleme. Wir sehen nur die Herausforderung, um das Ziel zu erreichen. Die letzten zehn Jahre waren nicht einfach. Es gab viele Herausforderungen. Die Anzahl der Glockengießer hat sich bis heute halbiert und wird sich in den nächsten zehn Jahren nochmal um neun bis zehn Anbieter weiter reduzieren.

Verfolgen Sie eine aktive Verkaufsstrategie?

Grassmayr: Bei uns wäre Direktmarketing viel zu aufwendig. Wir leben von Mundpropaganda. Unser Wachstum hat bestätigt, daß dieser Weg der richtige ist.

Führt die Ukraine-Krise auch bei Ihnen zu Umsatzeinbußen?

Grassmayr: Vor zwei Monaten haben wir ein Glockengeläute nach St. Petersburg geliefert. Zum Glück bestellen Kunden verschiedener Konfessionen und aus verschiedenen Ländern bei uns in Österreich. Wenn in einem Land eine Krise entsteht, können wir dies in einem anderen Land kompensieren. Aufgrund der Erfahrungen mit der Jugoslawien-Krise denke ich, daß in fünf Jahren die aktuellen Konflikte überwunden sein werden. So wird es auch mit Rußland wieder bessere Beziehungen geben.

Wir haben unser Museum völlig selbst finanziert

Befürchten Sie, daß die andauernde Eurokrise Ihre Pläne bremsen könnte?

Grassmayr: Nein! Gegenfrage? Stellen Sie sich vor, es würde Morgen den Euro nicht mehr geben. Dann würde es in Deutschland zu einer Aufwertung der Wechselkurse mit großen Problemen für die vielen mittelständischen Exportbetriebe mit ihren Mitarbeitern kommen.

Euro-Kritiker sehen in der Gemeinschaftswährung einen „Spaltpilz für Europa”.

Grassmayr: Nicht der Euro ist das Problem, sondern die mangelnde Haushaltsdisziplin der einzelnen Staaten. Wenn in Österreich eine Stadt schlecht wirtschaftet, ist nicht die Währung schuld. Und sollte es Griechenland nicht gelingen, die erdrückende Staatsverwaltung zu modernisieren, wird es zwangsläufig den schmerzhafteren Weg mit eigener Währung samt Abwertung gehen.

Unternehmer beklagen auch die zusätzliche Kostenbelastung durch EU-Beschlüsse.

Grassmayr: Die Bürokratie in Brüssel ist geringer als in Österreich!

Konzerne erhoffen sich vom Freihandelsabkommen TTIP mehr Export in die USA. Verbraucher sehen Gefahren für Qualitätsstandards. Wie stehen Sie zu TTIP?

Grassmayr: Da kann ich wenig dazu sagen. Ich war nur überrascht, daß Tiroler Bauernvertreter dies positiv sehen.

Zu Ihrem Unternehmen gehört auch ein Glockenmuseum. Ist dieses auf Ihre Initiative entstanden?

Grassmayr: Als privates Museum haben wir keine Fördergelder bekommen und das Museum völlig selbst finanziert. Wir wollten damit neue Impulse in die Öffentlichkeit bringen. Daß dies erfolgreich war, zeigen uns die Auszeichnungen, die wir erhalten haben und zwanzigtausend Besucher pro Jahr.

Was war das Motiv dafür?

Grassmayr: Immer mehr Menschen wollten unser besonderes Handwerk und die Herstellung von Glocken sehen. Das wurde zu einem Problem, das wir durch die Errichtung des Glockenmuseums mit Einblick in die Glockengießerei lösten. Das Museum wurde 1993 eröffnet.

Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, ob eine Nachfolgegeneration Ihre Unternehmertradition fortsetzen wird?

Grassmayr: Da haben wir großes Glück! Meine Eltern haben zehn Enkel. Zudem binden wir unsere Kinder frühzeitig ein, um Ihnen das ‘Feuer’ unseres Handwerks zu vermitteln. Das beginnt mit dem Austeilen von Schnapseln nach dem Glockenguß, mit zehn Jahren dürfen sie beim Glockenguß mithelfen. Ich selbst habe Wirtschaft studiert und bin von klein auf ins Unternehmen hineingewachsen.

Grassmayr Glockengießerei GmbH: www.grassmayr.at

Glockenläuten auf dem biblischen Berg Tabor: youtube.com/

Ein Familienunternehmen in Tirol

In 14. Generation arbeitet die Glockengießerei Grassmayr, seit 1836 am heutigen Standort in Innsbruck. Die größte Glockengießerei der k.u.k Monarchie hat alle Zeitenwenden überlebt. Noch vor 15 Jahren wurden 95 Prozent der Glocken an die katholische und evangelische Kirche geliefert. Inzwischen hat sich die Produktion verdoppelt und zu den Kunden zählen auch orthodoxe Kirchen, Buddhisten und Hindus. Mit neun Tonnen Gesamtgewicht wurde 2014 das größte neue Glockengeläut Deutschlands für die St. Marienkirche in Frankfurt/Oder gegossen. Auch die größte Glocke Südtirols – die neue Herz-Jesu-Glocke zu Lana – oder die Große Glocke im Belgrader Tempel des Heiligen Sava stammen von Grassmayr. Derzeit sind 35 Mitarbeiter beschäftigt. „Davon sind zur Zeit drei Abiturienten als Lehrlinge mit einem Notendurchschnitt von 1,1 bei uns tätig“, erklärt Geschäftsführer Johannes Grassmayr. „Wir führen eine Ausbildung jeweils mit einer Verknüpfung von zwei Lehrberufen durch. Entweder Gießer und Schlosser/Elektriker oder Tischler und Bildhauer.“ Der Jahresumsatz beträgt etwa 3,3 Millionen Euro.

Fotos: Geschäftsführer Johannes Grassmayr (r.) mit Technikchef Peter Grassmayr neben der 15,7 Tonnen schweren Taborglocke: „Trotz Rückgang des Glockenmarktes gießen wir heute viermal so viele Glocken wie vor 15 Jahren“; Blick auf den Berg Tabor (o.), Blick in den Herstellungsprozeß einer Grassmayer-Glocke (u.): „Wir binden unsere Kinder frühzeitig ein, um Ihnen das „Feuer“ unseres Handwerks zu vermitteln“