© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Dorn im Auge

Grün ist die Hoffnung“ – doch die Bedeutung des damals für mich unwahrscheinlich unterhaltsamen Romantitels von T. C. Boy-le, den mir eine Freundin Anfang der 1990er Jahre schenkte, hat sich heute unheimlich gewandelt. Im Supermarkt um die Ecke stehen plötzlich Coca-Cola-Flaschen mit grünem Etikett. Es ist dieselbe Filiale, in der vor Jahren das Mädchen gejobbt hatte, das inzwischen Schauspielerin ist und jetzt im Maxim-Gorki-Theater auf der Bühne steht. Dort hat am selben Abend das Stück „Schnee“ Premiere, das – in der Fassung des Regisseurs Hakan Savas Mican – auf Motiven des gleichnamigen Romans von Orhan Pamuk beruht. Tatsächlich erkenne ich die Kassiererin von einst auf der Bühne nicht mehr wieder. Ob der an diesem Abend ebenfalls anwesende Publizist Michael Krüger, langjähriger Kopf des Hanser-Verlages, die Botschaft des in seinem Haus einst veröffentlichten Romans hier wiederfindet, ist eine andere Frage – gern hätte ich sie ihm gestellt.

Augenscheinlich geht es der Inszenierung darum, den deutschen Exportüberschuß in der Wirtschaft durch den Import des Islams in die hiesige Gesellschaft auszugleichen. Zumindest erscheint mir dieses Fazit legitim, gehört doch auf einen groben Klotz ein grober Keil. Schließlich wird die komplexe, sehr differenzierte Romanhandlung aus dem anatolischen Norden im Theaterstück ebenso simplifizierend wie diffamierend auf das fiktive deutsche Karsberg übertragen. Dieses wird prototypisch als „das sterbende Städtchen irgendwo in Deutschland“ vorgestellt. Dessen einziges Zukunftsversprechen liegt in der politischen Bewegung „Grüne Sache“, die vom konvertierten islamistischen Prediger Grün angeführt wird.

Die absurde Adaption verlagert den Konflikt „in eine deutsche Zukunft vor dem Hintergrund von NSU und IS“. Entsprechend wird dem von Islamisten ermordeten Schuldirektor der von deutschen Nationalisten verbrannte Konvertit Johann gegenübergestellt. Die deutsche Kultur wird denunziert durch die Reduzierung auf Gottlieb Wendehals, dessen bekanntes Partylied schließlich als Nazigrölerei zur vermeintlichen Kenntlichkeit entstellt wird. Augenscheinlich soll der Gedanke einer deutschen Leitkultur delegitimiert werden. Der Bürgermeister erscheint entsprechend als Pate des rechtsextremen Untergrundes, die Verteidigung persönlicher Freiheitsrechte wird unter der Losung „Freie Haare für freie Bürger“ verspottet. Dies dürfte auch der einzigen Frau im Publikum gefallen haben, die mit Kopftuch und Mann erschienen war.