© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/15 / 17. April 2015

Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies
Zwei Hauptvertreter des Expressionismus: Eine Ausstellung in München gibt Einblicke in die Künstlerfreundschaft von Franz Marc und August Macke
Felix Dirsch

Die Artefakte aus dem Umfeld der Künstlergemeinschaft „Der Blaue Reiter“ genießen heute, rund ein Jahrhundert nach ihrer Entstehung, größte Popularität. Die in grellen Farben präsentierten blauen Pferde und gelben Kühe werden als Vorlage in mancher Grundschule und nicht wenigen Kindergärten verwendet. Die einst aufgrund ihrer revolutionären neuen Sichtweise der Welt heftig umstrittenen Werke entsprechen längst einem verbreiteten Kunstgeschmack.

In der Städtischen Galerie im Münchner Lenbachhaus wird nun die Freundschaft zwischen Franz Marc und August Macke anhand eines repräsentativen Ausschnitts aus dem umfangreichen Werk der beiden jung im Ersten Weltkrieg gefallenen Künstler beleuchtet. Gezeigt werden 200 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Skizzenbücher, kunstgewerbliche Objekte und private Dokumente.

Die erste persönliche Begegnung von Marc und Macke fand 1910 in einer Münchner Galerie statt. Daraus entwickelte sich ein fruchtbarer Austausch, verband beide im Blick auf die „Blaue Reiter“-Gemeinschaft doch ein Fundament an Ideen. Neben diversen Gemeinsamkeiten kristallisierten sich allerdings auch Unterschiede heraus. Der auffallendste ist das Verständnis Mackes vom sinnlichen Bild, von dem aus er den Wahrheitsgehalt der Malerei ableitete.

Marc hingegen verfiel schnell der spiritualistischen Wende, die mit dem Namen Wassily Kandinsky in Verbindung steht. Umwälzende Vorstellungen von einer Neuen Welt und einem Neuen Menschen entfalteten in Intellektuellenkreisen rasch Attraktivität. Kunst sollte die Menschen bessern. Die Begeisterung Marcs für die Hochschätzung des Geistigen ging so weit, daß der Ältere der Freunde zuerst die Meinung vertrat, der Krieg sei als großes Reinigungsbad notwendig, um den immer noch dominanten, störenden Materialismus zu beseitigen.

Für Laien mag es schwer sein, anhand der ausgestellten Gemälde die wechselseitigen Bezugnahmen der enorm produktiven Künstler nachzuvollziehen. Immerhin ist ein Vergleich insofern möglich, als einige Schwerpunkte ihrer Arbeiten augenfällig sind. Die Natur ist ein zentrales Sujet. Zeitweise zog es beide in ländliche Gegenden Oberbayerns. Sie wollten eine neue Symbiose von Mensch und Natur nicht nur propagieren, sondern auch vorleben.

Die gegenseitigen Abhängigkeiten sind am ehesten in zwei Höhepunkten der Ausstellung mit Händen zu greifen: in dem Bild „Reh im Klostergarten“, das von Marc stammt, und dem von Macke geschaffenen Pendant „Zoologischer Garten I.“ Ein gemeinsames Ziel wird hier besonders deutlich: die schöpferische Autonomie des Bildes, die sich manchen Verpflichtungen zur Abbildung des äußerlich Erkannten entzieht. Zur selben Zeit thematisieren beide die Natur als Raum, so sehr die Wahrnehmungen auch unterschiedlich sind. Für sie ist die kreative Interpretation der Natur die Leistung des Künstlers, nicht nur die Nachahmung von Vorgegebenem. So soll „die Welt selbst zum Reden“ gebracht werden, wie Marc in seinen Reflexionen unterstreicht.

Die Farbgestaltung der beiden Expressionisten, die einen nicht geringen Teil ihres Ruhmes ausmacht, ist kaum ohne die vielen Gespräche und Korrespondenzen vorstellbar, die sie miteinander führten. Vor allem für Marc erhielten die Farbtheorien besondere Relevanz.

Für die Entstehung des berühmten Almanachs „Der Blaue Reiter“, das wichtigste Zeugnis des künstlerischen Aufbruchs ein gutes Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende, ist die enge Zusammenarbeit von Marc und Macke eine wesentliche Voraussetzung. Daran ändert auch die herausragende Rolle Kandinskys nichts, der von Murnau öfter ins nahe gelegene Sindelsdorf zu Marc radelte. Macke wirkte zwar kooperativ an dem Unternehmen mit, blieb jedoch Außenseiter. Er suchte mehr und mehr seinen eigenen Weg.

Zu den Höhepunkten des gemeinsamen Schaffens beider Künstler gehört das Bild „Paradies“ aus dem Jahre 1912, das die Stimmungen der Vorkriegsjahre verarbeitet. Was niemand wissen konnte: Die Zusammenarbeit neigte sich bereits ihrem Ende entgegen. Es ist müßig darüber zu spekulieren, was Marc und Macke noch hätten leisten können, wäre ihnen ein längeres Leben vergönnt gewesen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Mai in München in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, Luisenstraße 33, täglich außer montags von 10 bis 21 Uhr zu sehen. Telefon: 089 / 233 320 - 00

www.lenbachhaus.de