© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Handeln, um zu wandeln
Gender Mainstreaming: Angeblich geht es um Gleichberechtigung, doch hinter dem ominösen Begriff verbirgt sich eine einflußreiche Kampagne
Michael Paulwitz

Da geht es doch irgendwie um Frauen-Gleichberechtigung oder so, glauben die meisten, die von „Gender Mainstreaming“ hören. Wenn sie sich überhaupt etwas darunter vorstellen können. Der Irrtum und die Begriffsverwirrung sind gewollt: Denn tatsächlich steckt dahinter eine radikale Ideologie, die auf vielfältige Weise in unseren Alltag eingreift und Männer, Frauen und Kinder von Grund auf umerziehen und bevormunden will.

Die Gender-Ideologie geht davon aus, daß es gar keine natürlich gegebenen Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, sondern beliebig veränderbare „gesellschaftliche“ Geschlechterrollen und unendlich viele „geschlechtliche Orientierungen“, die sich jeder selbst aussuchen können soll.

Als politische Strategie verlangt Gender Mainstreaming nicht nur Gleichberechtigung, sondern „Gleichstellung“. Die Umdeutung des bürgerlichen Freiheitsrechts zum staatlichen Interventionsgebot schafft einen Freibrief für Gängelung, Manipulation und Umverteilungspolitik – von der verordneten Sprachregelung bis zur planwirtschaftlichen Frauenquote.

Gender Mainstreaming – Wer hat’s erfunden?

Die Gender-Theorie hat ihre ideologischen Wurzeln im Marxismus. Karl Marx und Friedrich Engels wollten bereits die „bürgerliche Familie“ abschaffen, Mann und Frau gleichermaßen in den Arbeitsprozeß einbeziehen und die Kindererziehung verstaatlichen, um die Frauen vom „Joch“ des Mutter- und Hausfrauendaseins zu befreien.

Von dort führt die Linie über die Kommunistin Simone de Beauvoir („Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht“) und den Alice-Schwarzer-Feminismus, der die Frauen durch gleichgeschlechtliche Liebe aus „patriarchalischer Bevormundung“ befreien will, bis zu der auch in Deutschland mit Preisen überschütteten lesbischen Gender-Cheftheoretikerin Judith Butler.

Geprägt hat den Begriff „Gender“ im Sinne der Gender-Theorie der amerikanische Psychiater John Money. Er ließ einen 1965 geborenen Zwillingsjungen, dessen Penis bei einer mißlungenen Beschneidung zerstört worden war, zum Mädchen umoperieren, um zu beweisen, daß das Geschlecht beliebig zugewiesen werden könne. Das Experiment mißlang, der seiner Identität beraubte Junge beging als Erwachsener Selbstmord.

Die politische Durchsetzung von Gender Mainstreaming ist das Werk einer radikalfeministischen Lobby, die zunächst im Hintergrund internationaler Organisationen tätig wurde. 1984 wurde die Strategie auf der 3. UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi diskutiert. 1995 wurde Gender Mainstreaming auf der 4. UN-Weltfrauenkonferenz in Peking festgeschrieben.

Mit dem am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag wurde Gender Mainstreaming als neue politische Strategie verbindlich für alle europäischen Mitgliedsländer festgelegt und schon am 23. Juni 1999 durch einen Beschluß des Bundeskabinetts zur Grundlage allen staatlichen Handelns gemacht.

Die „Gender“-Politik wurde trotz ihrer weitreichenden Folgen für alle Bürger weder im Parlament diskutiert, noch wurde der Souverän, das Volk, dazu befragt.

Gender-Gängelung im Alltag

Die Bevormundung beginnt mit der Sprache. Wer anderen vorschreiben kann, wie sie sprechen und was sie sagen dürfen und was nicht, hat Macht über andere. Folgsam ignorieren Politiker und Amtsträger seither grammatikalisches und natürliches Geschlecht und sprechen in korrekt vorgestanzten Formeln wie „Bürgerinnen und Bürger“. Aber damit nicht genug:

● Die neue Straßenverkehrsordnung ist durch Gender-Sprachsäuberung unscharf und schwer lesbar geworden: Aus „Fußgängern“ wurden beispielsweise „zu Fuß Gehende“.

● Seit 2007 gibt das Bundes-„Familien“-Ministerium per Elterngeld jährlich Milliarden aus, um Väter zu Hausmännern und Mütter zu Vollzeit-Berufstätigen umzuerziehen – natürlich ohne daß deswegen auch nur ein Kind mehr geboren worden wäre.

● Im notorisch klammen Berliner Bezirk Kreuzberg hat die grün-linke Mehrheit immer noch Geld für die Einrichtung von „Unisex“-Toiletten in öffentlichen Gebäuden übrig, damit sich auch Leute, die sich nicht zwischen Mann und Frau entscheiden können, nicht „ausgegrenzt“ fühlen, wenn sie ein dringendes Bedürfnis plagt.

„Gender“ als Geldmaschine und Karriereturbo

„BeraterInnen, TrainerInnen und Coaches verdienen heute Geld damit, Institutionen aller Art in Sachen Gender zu schulen und zu beraten“, heißt es ganz ungeniert im 2006 von einschlägigen Ideologen und Lobbyisten veröffentlichten „Gender-Manifest“. Mit Gender läßt sich Karriere machen: In Hochschulen, Verwaltungen und öffentlichen Einrichtungen wachen Tausende von „Gleichstellungsbeauftragten“ eifersüchtig darüber, daß Frauen bevorzugt eingestellt werden.

Gender-„Forschung“ und -Lehre findet an den Hochschulen nicht nur in den eigens dafür eingerichteten Instituten statt. Sie ist an geisteswissenschaftlichen Lehrstühlen, vor allem solchen für Soziologie, Politikwissenschaft, Geschichte und Literaturwissenschaften, fest etabliert. „Gender Studies“ sind ein sich selbst erhaltendes System, das sich seine Nachfrage selbst schafft. Die davon profitierenden Seilschaften wachen eifrig über ihre Pfründe:

● Ein Mainzer Juraprofessor wurde gemobbt und mit Karriere-Aus bedroht, nachdem er 2004 Gender Mainstreaming als „totalitäre Steigerung von Frauenpolitik“ kritisiert hatte. Seither sagt er kein Wort mehr zum Thema.

● Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln (MPIfG Discussion Paper 14/19) belegt: Bei Stellenbesetzungen an Hochschulen und im öffentlichen Sektor werden qualifizierte Männer schon heute massiv benachteiligt.

● Von 1995 bis 2005 wurden nach Angaben des Hochschulverbandes in Deutschland fast 1.500 Professorenstellen eingespart, 663 allein in den Geistes- und 356 in den Ingenieurswissenschaften. Auch die lediglich drei Lehrstühle für Bevölkerungswissenschaften, die sich in der wiedervereinigten Bundesrepublik mit den demographischen Schicksalsfragen des Landes befaßten, sind inzwischen sämtlich aufgelöst.

● Dagegen sind zeitgleich bis heute über 200 Gender-Lehrstühle und 29 Gender-Studies-Institute entstanden. Allein die chronisch klammen Berliner Universitäten, bei denen Fachbibliotheken aus Geldmangel auf dem Dachboden vermodern, haben vier davon. Im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen wurden zwischen 1986 bis 1999 an 21 Hochschulen 40 Professuren für das „Netzwerk Frauenforschung NRW“ neu geschaffen, darunter auch eine für „feministische Ökonomie“ in Münster.

● Die Berliner Gender-Professorin Susanne Baer wurde von der damaligen „Familien“-Ministerin von der Leyen zur Leiterin des „GenderKompetenzZentrums“ ernannt, mit Beratungsaufträgen überschüttet. Trotz fragwürdiger wissenschaftlicher Qualifikation wurde sie inzwischen auf einflußreicher Stelle als Bundesverfassungsrichterin installiert.

„Politische Geschlechts-umwandlung“

Der Gender-Kritiker Volker Zastrow übersetzt „Gender Mainstreaming“ als „politische Geschlechtsumwandlung“. Weil die Mehrheit der Menschen diesem Leitbild nicht entspricht und am Ideal der Familie aus Vater, Mutter und Kind festhält, soll die Gender-Ideologie durch massive Beeinflussung „von oben nach unten“ durchgesetzt werden.

● Die Stadt München gab 2014 einen „Familienpaß“ heraus, auf dessen Titelbild nur schwule und lesbische Pärchen mit Kindern zu sehen waren.

● Der Europarat empfahl schon 2010 die Abschaffung von „Vater“ und „Mutter“, um künftig geschlechtsneutral nur noch von „Elter 1“ und „Elter 2“ zu sprechen.

● Die Rektorin der Universität Leipzig führte 2013 die einheitliche weibliche Anrede für alle ein. Aus dem „Professor“ wird „Herr Professorin“.

● Im sozialen Netzwerk Facebook kann man sich seit kurzem statt als „Mann“ oder „Frau“ mit einem von 60 „Geschlechtern“ zur Auswahl anmelden – von „geschlechtslos“ bis „pangender“.

● Eine EU-Resolution vom Dezember 2012 fordert, negative Äußerungen über Homosexualität unter Strafe zu stellen. Wer die Homosexuellen-Lobby kritisiert, stünde automatisch als „Haßredner“ oder „homophob“, also irgendwie geisteskrank, in der Ecke.

Schule als sexuelle Umerziehungsanstalt

Unter dem Schlagwort einer „Sexualpädagogik der Vielfalt“ wertet Gender Mainstreaming gezielt die „Kernfamilie“ als nur eine und unbedeutende Möglichkeit unter vielen ab. Die Publizistin Gabriele Kuby kritisiert: „Homosexualität, Polygamie und Inzest sollen Ehe und Familie ersetzen.“ Die Umerziehung setzt bewußt schon bei den Jüngsten an, denn wer die Kinder hat, kontrolliert die Zukunft. Eine kleine Chronologie:

● 2007: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung muß die Broschüre „Körper, Liebe, Doktorspiele“ zurückziehen. Darin wurden sexuelle Aktivitäten zwischen Eltern und Kleinkindern empfohlen, hatte zuvor Gabriele Kuby in der jungen freiheit enthüllt.

● 2013: In den neuen „Bildungsplan“ für das grün-rote Baden-Württemberg schreiben Homo-Lobbyisten das Ziel hinein, Schüler müßten „die verschiedenen Formen des Zusammenlebens von/mit LSBTTI-Menschen kennen und reflektieren“. Hunderttausende unterzeichnen die vom Landtag abgeschmetterte Petition „Kein Bildungsplan unter der Ideologie des Regenbogens“. Tausende gehen bis heute unter dem Motto „Demo für alle“ dagegen auf die Straße.

● 2014: Rot-Grün und die FDP beschließen im Landtag von Niedersachsen, daß die „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten und gleichgeschlechtlicher Lebensweisen“ in „allen Fächern“ und „allen Klassenstufen“ der Landesschulen „angemessen behandelt und abgebildet“ werden muß. Die Homo-Lobby-Initiative „SchwulLesbischeBiTransAufklärung“ („SchLAu“) darf die Durchführung überwachen.

● 2015: Ein vom Lesben- und Schwulenverband Schleswig-Holstein im Auftrag des Sozialministeriums erstellter „Methodenschatz“ will Grundschüler mit Texten zu Homosexualität, Leihmutterschaft, Geschlechtsumwandlung und Polygamie traktieren und muß nach Protesten „überarbeitet“ werden (JF 7/15).

Ein kleines Glossar: Das Gender-Kauderwelsch

Gender: Überträgt die englische Bezeichnung für das grammatikalische Geschlecht im Unterschied zum biologischen Geschlecht („sex“) auf das „soziale“ Geschlecht, also „gesellschaftliche Geschlechterrollen“, und erklärt diese für allein ausschlaggebend und beliebig veränderbar.

Gender Mainstreaming: Politisches Programm, das Politik, Verwaltung und Gesellschaft auf die Anwendung des „Gender“-Prinzips verpflichtet und von oben erzwungene „Gleichstellung“ zur verbindlichen „Querschnittsaufgabe“ aller Stellen erklärt.

Gender Studies: Die „genderkonforme Geschlechterwissenschaft“ soll die Gender-Ideologie wissenschaftlich untermauern und bildet das akademische Programm zu Gender Mainstreaming. Kritiker bezeichnen sie als „Pseudowissenschaft“, die keine nachprüfbaren Ergebnisse hervorbringe.

Gender Budgeting: Das Sesam-öffne-dich für die öffentlichen Geldtöpfe. In Finanzplanung und Haushaltsrecht müssen öffentliche Ausgaben darauf geprüft werden, ob sie Gender-Perspektive und Frauenförderung angemessen berücksichtigen. Ein Freibrief für die Umleitung von Steuergeldern an die eigene Klientel – und sei es nur für die Erstellung entsprechender Gutachten.

Queer Theory: Die von Schwulen und Lesben entwickelte Theorie, die Teil der Gender-Ideologie wurde, erklärt das Abweichende für normal und das „Normalsein“ der heterosexuellen Mehrheit für eingebildet.

Sexual Diversity: Die „Geschlechtervielfalt“ leugnet die Zweiteilung der Menschheit in Mann und Frau und reduziert den einzelnen auf seine sexuellen Orientierungen und Vorlieben, die als gleichwertig und frei wählbar dargestellt werden.

LSBTTIQ: Steht für „lesbisch/schwul/bisexuell/transsexuell/transgender/intersexuell/queer“ und bezeichnet die von vielen Gender-Lobbyisten favorisierte Auswahl aus den je nach Lesart bis zu 4.000 „geschlechtlichen Orientierungen“. Hinter dem baden-württembergischen „Bildungsplan“ steht zum Beispiel die eigens gebildete Lobbygruppe „Netzwerk LSBTTI“.