© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Gender-Wühlarbeit trägt Früchte
EU: Seit Jahren kämpft ein Netzwerk von EU-Politikern gegen traditionelle Geschlechterrollen
Mario Jacob

Geht es um die Durchsetzung der „Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen“ (LGBTI) steht die österreichische Grünen-Europaabgeordnete Ulrike Lunacek seit Jahren an vorderster Front. Bekannt wurde sie spätestens durch den sogenannten Lunacek-Bericht, den das EU-Parlament am 4. Februar 2014 mit 394 Stimmen, 176 Gegenstimmen und 72 Enthaltungen absegnete.

Im Mittelpunkt stand der „Fahrplan zur Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Orientierung und der Geschlechts-identität“, den Lunecek als Berichterstatterin vorlegte. Dieser beinhaltete flächendeckende Schulprogramme zur „Förderung der Akzeptanz“ der LGBTI-Lebensformen, „Toleranzschulungen“ für Journalisten, Strafverfolger und Polizisten unter EU-Regie. Zudem die europaweite Anerkennung von Homoehen sowie die Verfolgung und Bestrafung von Äußerungen gegen Homo- und Transsexuelle als „Haßkriminalität“ (JF 8/14). Das EU-Parlament fordert die Kommission, die Mitgliedstaaten und EU-Agenturen auf, gemeinsam eine umfassende Politik zum Schutz der Grundrechte von LGBTI-Personen zu erarbeiten; genauer, einen „Aktionsplan, ähnlich anderer bestehender EU-Strategien gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit oder einer Behinderung“ zu erstellen.

LGBTI-Interessen sind im Parlament stark vertreten

Doch da es sich um eine unverbindliche „nichtlegislative Entschließung“ handelte, läßt der Aktionsplan auf sich warten. „Ginge es nach Kommission und Europaparlament wäre eine Richtlinie zum Schutz vor Diskriminierung außerhalb der Arbeitswelt bereits seit 2009“ auf der Schiene, so Lunecek im österreichischen Online-Magazin Mokant „Leider, wie sehr oft“, erklärt die Grüne, blockierten einzelne Mitgliedsstaaten im Rat die Forderungen und ließen manch „überfällige Richtlinie, wie die zum Schutz vor Diskriminierung außerhalb der Arbeitswelt“, nicht in Kraft treten.

Frei nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ agiert ein breites politisches Netzwerk im Umfeld des EU-Parlaments, um die LGBTI-Interessen voranzubringen. Im Mittelpunkt steht hier die Intergroup on LGBTI Rights. Mit 134 EU-Abgeordneten ist sie die größte der 28 informellen Arbeitsgruppen im Europäischen Parlament mit seinen 751 Mitgliedern.

Die Mehrzahl der 134 EU-Abgeordneten stellen die Fraktionen der Grünen, Sozialdemokraten und Vereinigten Europäischen Linken. Doch auch Politiker aus der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) sowie Nigel Farages’ Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) bringen sich ein.

Nach eigenen Angaben überwacht die LGBT Intergroup die Arbeit der Europäischen Union, insbesondere die legislative Arbeit des Europäischen Parlaments sowie die Arbeit der europäischen Institutionen in Brüssel, Luxemburg, Straßburg und Wien. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments sollen mittels Sitzungen, parlamentarischen Anfragen oder der Förderung des Meinungsaustausches unter den Abgeordneten für LGBTI-Themen sensibilisiert werden. Dies wiederum soll dann garantieren, daß die Thematik auch in den Berichten und besonders in den Beschlüssen des EU-Parlaments zur Geltung kommen.

Selbstbewußt propagiert die LGBTI Intergroup: „Wir übernehmen eine aktive Rolle bei der Förderung der Menschenrechte von LGBTI-Personen – zum Beispiel mit Portugals Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare – oder erinnern Mitgliedstaaten und ihre Behörden an ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen des Vertrags von Lissabon, der Charta der Grundrechte oder die Europäische Menschenrechtskonvention (zum Beispiel Litauens umstrittenes Gesetz über den Schutz von Minderjährigen).“

An der Spitze der Lobbyorganisation stehen Ulrike Lunacek und der sozialdemokratische Italiener Daniele Viotti (S&D-Fraktion) als Ko-Präsidenten. Daneben fungieren Sophie in’t Veld (Liberale) aus den Niederlanden, die Finnin Sirpa Pietikäinen aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten), der niederländische Sozialist Dennis de Jong, die Slowenin Tanja Fajon (S&D), Ian Duncan (ECR) sowie die Italienerin Isabella Adinolfi (EFDD) als Vize-Präsidenten.

Die Lobbyarbeit trägt Früchte: Mit 441 Ja- zu 205 Neinstimmen nahm das EU-Parlament am 20. Januar den sogenannten jährlichen „Tarabella-Bericht“ an, der sich klar gegen „traditionelle Geschlechterrollen“ ausspricht. Benannt nach dem sozialistischen EU-Abgeordneten Marc Tarabella aus Belgien, spricht dieser sich unter anderem für ein Menschenrecht auf Abtreibung aus. Ferner fordert das Parlament das Recht der Frauen auf sexuelle und reproduktive Gesundheit, einschließlich Abtreibung und Empfängnisverhütung. Eine weitere brisante Forderung: Häusliche Gewalt gegen eine Frau soll in einem Drittstaat als Asylgrund für die Europäische Union ausreichen.

EU macht Gleichstellung zur Chefsache

Lunacek zeigte sich erfreut. Zwar mache die neue, von Jean-Claude Juncker geführte EU-Kommission im Bereich „Frauenrechte und Gleichstellung“ einen „Rückschritt nach dem anderen“. Doch um so wichtiger sei die „breite Zustimmung des Europaparlaments“ zum Tarabella-Bericht, der eine „progressive, emanzipatorische und gerechte Frauenpolitik“ einforderte, gewesen.

Noch im Dezember 2013 scheiterte die portugiesische Abgeordnete Edite Estrela mit ihrem Bericht, der einen europaweiten Sexualkundeunterricht in einer „sicheren, tabufreien und interaktiven Atmosphäre zwischen Schülern und Erziehern“ forderte und sich für die EU-weite Legalisierung von Abtreibung einsetzte, im Europäischen Parlament noch knapp. Außerdem hatte sich der Bericht für die EU-weite Legalisierung der Abtreibung als Menschenrecht eingesetzt.

Doch das ist Schnee von gestern. Am 1. Juli 2014 wählte das EU-Parlament Ulrike Lunacek – mit relativer Stimmenmehrheit im dritten Wahlgang – zu einer der vierzehn Vizepräsidenten. Statt wie bisher als EU-Berichterstatterin für die „Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität“ im Hintergrund zu wirken, steht die Grüne nun oft im Mittelpunkt. Entsprechend präsentiert sie Eurovision-Bardin Conchita Wurst vor dem EU-Parlament und reist als Vertreterin von Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) durch die EU-Staaten und fordert die Umsetzung von LGBTI-Rechten.

Wohlwollend flankiert wird Lunaceks Arbeit von der Europäischen Union. Diese sieht sich als Förderer der Gleichstellung der Geschlechter. Bereits 1995 erhob der Ministerrat Gender Mainstreaming zum EU-Aktionsprogramm, 1999 macht es der Amsterdamer EU-Vertrag dann gar rechtlich verbindlich. Im Dezember 2006 gründete die EU das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen – unter anderem mit dem Ziel, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und gegen geschlechtsbezogene Diskriminierung vorzugehen.