© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Raus aus der Rezession
Finnland: Linksliberale Finnen fürchten nach dem Wahlsieg der ländlich-liberalen Zentrumspartei konservative Intoleranz
Anni Mursula

Groß war die Empörung in den sozialen Medien, als am Sonntagabend das Ergebnis der Parlamentswahl in Finnland feststand. „Das kann doch nicht sein!“ – „Das Volk ist einfach zu dumm zum Wählen!“ – „Finnland verabschiedet sich von der Moderne!“ – „Der schlimmste Alptraum ist wahr geworden!“

Die Finnen hatten sich bei dem Urnengang klar für einen Regierungswechsel ausgesprochen und die ländlich-liberale Zentrumspartei (Kesk) mit 21,1 Prozent (plus 5,3 Prozentpunkte) zur stärksten Kraft gewählt. Auf Platz zwei folgten mit 17,1 Prozent (minus 1,4 Prozentpunkte) die sich selbst als populistisch bezeichnenden Wahren Finnen (Perussuomalaiset, PS).

Während die linksliberalen und überwiegend Grünen (Vihr, 8,5 Prozent, plus 1,3) Hauptstädter aus Helsinki darüber klagten, daß das moderne, nordische Land nun wieder rückwärtsgewandt, intolerant und spießbürgerlich geworden sei, ging es den Finnen nach Wahlanalysen von Experten keineswegs darum, eine konservative, sondern vielmehr eine wirtschaftsliberale, Euro- und dazu Nato-kritische Regierung zu wählen.

Schließlich leidet das Land seit Jahren an einer Rezession und steigender Arbeitslosenquote von momentan 9,1 Prozent. Das erklärt auch, warum das Volk sich so eindeutig für eine Partei ausgesprochen hat, an deren Spitze der millionenschwere Geschäftsmann Juha Sipilä steht.

In seiner Wahlkampagne versprach Sipilä harte Reformen, die Finnland innerhalb von zehn Jahren aus der wirtschaftlichen Krise führen sollen. Doch dazu benötigt er vermutlich die Unterstützung der Wahren Finnen.

Deren Verdienst ist beispielsweise die konkrete Forderung nach einem „Finnenpfand“ aus Athen, das Helsinki seit 2011 930 Millionen Euro Zurückzahlungen auf ein eigens für diesen Zweck eingerichtetes Treuhandkonto sichere.

Interessant ist, daß Finnland kaum jemand den Mann kennt, der jetzt die Führung übernehmen soll. Sipilä ist ein politischer Quereinsteiger, ein „Kückchen“, wie er in der Presse genannt wird.

Dennoch wählte der 53jährige im Wahlkampf eine zurückhaltende Strategie, verweigerte Interviews und beteiligte sich kaum an öffentlichen Debatten. Bekannt ist neben seinen wirtschaftlichen Positionen nur wenig – außer, daß er für eine strengere Einwanderungspolitik wirbt und bekennender Christ sowie Gegner der Homoehe ist.

Deshalb wird die mögliche neue Führungsspitze von Sipilä und Timo Soini (PS) in der finnischen Presse und politischen Blogs als eine „Koalition der Christen“ verspottet. Schließlich ist auch der Parteichef der Wahren Finnen ein gläubiger Katholik.

Doch so scharf konservativ die Konturen der beiden Parteichefs sein mögen, über die Wählerschaft ihrer beiden Parteien sagt das nichts aus – auch wenn das die finnische Presse so deuten mag. Denn dem Wahlergebnis zufolge wollen die Finnen in den kommenden Jahren offenbar nur eins: mehr wirtschaftliche und sicherheitspolitische Unabhängigkeit.