© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Farbenklavier und Duftorgel
Musik: Zum 100. Todestag von Alexander Skrjabin
Wiebke Dethlefs

Obwohl er musikhistorisch eine bedeutende Persönlichkeit ist, sind Alexander Skrjabins Schöpfungen hundert Jahre nach seinem Tod im Konzertleben nicht übermäßig präsent. Im Gegensatz zu anderen russischen Komponisten seiner Epoche ging es ihm nicht um die Weiterbildung einer nationalen Tonsprache. Bewußt wandte er sich dem Westen zu und suchte den Anschluß an den kosmopolitischen Stil Regers, Busonis oder Mahlers. Skrjabin verbrachte nach 1895 einige Jahre in den USA und lebte ab 1904 in Genf und in Brüssel; nach Rußland kehrte er erst 1910 zurück. Er starb noch nicht 43jährig an einer Blutvergiftung.

Er ging weit über

die Tonalität hinaus

Er war zunächst als Klaviervirtuose bekannt geworden, und nicht von ungefähr steht eine Fülle von Klaviermusik (zehn Sonaten, Preludes, Mazurken, Etüden) im Zentrum seines 74 opera umfassenden Werkkatalogs. Stilistisch geht er in den Frühwerken von Chopin aus, übernahm aber dann die harmonischen Errungenschaften des späten Wagner und vor allem Debussys.

Mit dem künstlerischen Ziel, in feindifferenzierter Schattierung seelische Regungen wiederzugeben, betrat er nach 1905 musikalisches Neuland und ging damit weit über die Tonalität hinaus. Zur Basis seiner Harmonik wurde ein die Dur-Moll-Polarität sprengender, auf Quarten beruhender, von ihm so genannter „mystischer Akkord“ (c-fis-b-e-a-d). Er entwickelte eine hochdifferenzierte Polyrhythmik und ließ in seinen Orchesterwerken den Instrumentenapparat riesig anwachsen. Alle Sinne sollten durch seine Musik gereizt werden. Er proklamierte ein „Allkunstwerk“ unter Einsatz eines „Farbenklaviers“ und einer „Duftorgel“; jedem Ton wird eine bestimmte Farbe beziehungsweise ein Aroma zugeordnet, die gleichzeitig zur Musik visualisiert werden respektive den Konzertsaal durchströmen.

Skrjabin begann um 1910, philosophisch-theosophische Gedanken zu entwickeln. Musik, Farbe und Duft sollen den Hörer in ein Mysterium eingehen lassen. Skrjabin war davon überzeugt, daß eine geistige und sittliche Erneuerung der Menschen mit den Mitteln seiner Kunst erreicht werden kann. Sein Orchesterwerk „Prome-theus“ (1910) bildet eine Vorstufe zu dieser Mystik; es wird nur das Farbenklavier eingesetzt. Zeitgenossen empfanden die unerhörte Sinnlichkeit seiner Musik in ihrer hektischen, morbid-dekadenten Stimmung als „pornographisch“. Doch in der Kompromißlosigkeit seines künstlerischen Weges bleibt Alexander Skrjabin eine bewunderungswürdige Erscheinung.