© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

„... und Elend, unermeßbar, steigt herauf“
Die Vertreter der Inneren Emigration im Nationalsozialismus im Strudel des Finis Germaniae 1945
Günter Scholdt

Man könnte vermuten, daß jene in Deutschland verbliebenen Autoren, die dem Dritten Reich mit (meist verschlüsselter) Ablehnung begegneten, bereits die letzten Kriegswochen als Vorschein auf die heißersehnte Befreiung empfanden und seit dem 8. Mai glückliche Tage erlebten. Das ist richtig und falsch zugleich, wie auch sonst eingängige Etikettierungen historischen Ereignissen oder gar Einzelschicksalen selten gerecht werden.

Am drastischsten widerlegen sich solche Klischees in Fällen, wo ausgerechnet das Kriegsfinale NS-Gegnern den Tod brachte. So wurde zum Beispiel der seit April 1945 verschollene Felix Hartlaub Opfer der Kämpfe um Berlin. Er hinterließ als Höhepunkt seines Schaffens „Im Sperrkreis“, eine beißende Satire im Umfeld des 20. Juli aus dem Führerhauptquartier. Ähnliches widerfuhr Friedo Lampe, der noch am 2. Mai 1945 von russischen Soldaten erschossen wurde. Sein erster Roman „Am Rande der Nacht“ war wegen homosexueller Partien verboten worden.

Albrecht Haushofer, Sohn des Geopolitikers Karl Haushofer und einer „halbjüdischen“ Mutter, wurde als Häftling in Berlin-Moabit kurz vor dem Russeneinmarsch in der Nacht vom 23. auf den 24. April liquidiert. In seiner Manteltasche fanden sich 79 Gedichte, die sein Leben resümieren und 1946 als „Moabiter Sonette“ erschienen. Auch drei Römer-Dramen mit zeitkritischen Anspielungen kennzeichnen seine Kassandra-Haltung. Als außenpolitischer Berater von Ribbentrops hatte er versucht, Schlimmeres zu verhüten und für den Frieden zu wirken. Seine erste Verhaftung erfolgte nach Heß’ Englandflug, seine zweite nach dem 20. Juli, als er bereits Kontakte zu Widerstandsgruppen aufgenommen hatte. Auch Fritz Reck-Malleczewen, Autor von „Bockelson. Geschichte eines Massenwahns“ (1937), „Charlotte Corday. Geschichte eines Attentats“ (1938) und geheimer NS-feindlicher Tagebücher starb als Häftling, in Dachau, noch bevor die Alliierten Deutschland erreichten.

Aber gewiß galt für das Gros der Inneren Emigranten, daß sie der militärische Zusammenbruch aus persönlicher Gefahr befreite. Hans Carossa etwa hatte an den Oberbürgermeister von Passau appelliert, die Stadt kampflos zu übergeben, und entging dem dafür vorgesehenen Standgerichtsurteil nur durch die schnelle Ankunft der Amerikaner. In Lebensgefahr schwebte auch Reinhold Schneider. Noch kurz vor Kriegsende drohte ihm wegen der 1944 veröffentlichten Broschüre „Das Gottesreich in der Zeit“ ein Hochverratsprozeß. Für ihn galt seit 1941 Schreibverbot. Seine Traktate und Dichtungen wurden allerdings in Kirchenkreisen hektographiert oder über den Colmarer Alsatia-Verlag verbreitet. Anstoß erregt hatte zuvor sein Großessay „Das Inselreich“ (1936), der das Recht über staatliche Macht stellt, sowie die antirassistische Anklage „Las Casas vor Karl V.“ (1938).

Sie hatten Befreiung erhofft und Reeducation geerntet

Als bekannter Regimegegner fürchtete auch Ernst Wiechert im letzten Moment um sein Leben. Bereits seine Münchner Universitätsrede von 1935 und sein Eintreten für den inhaftierten Pastor Niemöller hatten ihm einen Aufenthalt im KZ Buchenwald eingetragen. Kurz vor Kriegsende verweigerte er, auf seine Magenkrankheit pochend, den Dienst im Volkssturm. Die mit Schreibverbot bedachte „Halbjüdin“ Elisabeth Langgässer bangte zusätzlich für ihre nichteheliche jüdische Tochter, die 1944 nach Theresienstadt deportiert worden war. Werner Bergengruen, Autor von zwei vielgelesenen Schlüsselromanen (1935: „Der Großtyrann und das Gericht“, 1940: „Am Himmel wie auf Erden“), durfte ab 1937 nur noch mit Sondergenehmigung schreiben. Als Ehemann einer „Dreivierteljüdin“ stand seine Familie ohnehin unter besonderer Beobachtung.

Hermann Kasack, dessen Kündigung beim Rundfunk 1933 ihn wirtschaftlich ruinierte, plagten gegen Ende des Dritten Reichs noch zusätzliche Sorgen. Sie galten dem im KZ inhaftierten Peter Suhrkamp und dem Überleben der Neuen Rundschau, für die er nun Verantwortung trug. Erich Kästner wiederum hatte sich im Dritten Reich mit einiger Raffinesse durchgemogelt, unter Pseudonymen oder erborgten Verfassernamen geschrieben und so das Publikationsverbot umgangen. Die Schlußphase des Regimes erlebte er in Tirol bei einer Ufa-Truppe, die in bester Potemkinscher Manier fiktive Filme drehte. Ähnlich entging der schwer verwundete und zu zahlreichen Nachoperationen gezwungene Horst Lange weiterer Gefährdung kurz vor Kriegsende. Ein wohlwollender Oberst schützte ihn durch einen angeblichen Pionierfilm.

Für Stefan Andres, der mit seiner jüdischen Frau und seiner Familie nach Süditalien ausgewichen war, stieg der Druck, als im Sommer 1943 die angloamerikanische Allianz von Sizilien aus nach Norden stieß. Ab 30. November wurde die Verhaftung aller in Italien lebenden Juden und deren Einweisung in Konzentrationslager angeordnet. Der Einberufung zum Militärdienst war er nur durch ein Gefälligkeitsattest entgangen. Schließlich lag sein Exilort Positano genau zwischen den Fronten, so daß man weitgehend von Lebensmittelzufuhren abgeschnitten war.

In Summe erwies sich jedoch das Kriegsende schlicht als Rettung, und manche spontane Begeisterung darüber ist verbürgt. Das gilt etwa für den Individualanarchisten Gerhard Nebel, im Kriege strafversetzt wegen einer Satire auf Görings Flieger. Am 29. April 1945 lag er im Lazarett Verona, aus dem das Personal bereits geflohen war, in völliger Ungewißheit über sein künftiges Schicksal. „Dennoch“, schrieb er, „möchte ich die Veroneser Stunden nicht in meinem Leben missen. Ein Sturm von Freiheit durchtobte mich, die Ketten waren gerissen.“ Auch Horst Langes Tagebuch kündet von hohen Erwartungen gerade im Untergang. Am 29. März 1945 heißt es: „Auf einmal haben wir alle wieder so viel Zukunft wie lange nicht mehr“, Ziele, die uns „magnetisieren“, sowie einen starken Willen, „es besser zu machen und die alten Fehler auszumerzen“.

Mehrheitlich äußerten sich solche Glücksgefühle jedoch meist im Kontext großer Tagesnöte und Sorgen ums pure Überleben. Elisabeth Langgässer unterlag in jener Zeit einem extremen Pessimismus. Auch Ricarda Huch bedrückten zuweilen Stimmungen wie am 10. Januar 1945, „daß Gott gegen uns ist. Alle, die so mit ganzem Herzen auf einen Umschwung gehofft haben, müssen sterben.“ Zudem beschäftigte sie die Frage, ob sie bei ihrer Abneigung gegen die Flüchtlings-Existenz Jena verlassen solle.

Auch boten die konkreten Umstände der Machtablösung wenig Anlaß zu Freude. Allein die („moralische“) Bombardierung deutscher Städte stand in grellem Kontrast zu aller Befreiungsrhetorik. Wiechert sah darin eine leider erforderliche, alle Seiten schuldig machende moralische Verschlungenheit. Andere empörten sich darüber wie Ricarda Huch, deren Mut vor NS-Instanzen außer Frage steht. Verweigerte sie doch 1933 eine Loyalitätserklärung für das neue Regime und trat aus der Preußischen Akademie der Künste aus. Ihr „Römisches Reich Deutscher Nation“ kritisierte die Judenverfolgungen, und ihr diesbezüglicher Freimut führte zu einer gerichtlichen Anklage. Die von ihr angstvoll erlittenen Luftangriffe bezeichnete sie jedoch als barbarische Kriegsführung. Horst Lange nannte die Verantwortlichen für Dresden gar „blutbesudelte Räuber und Mordbrenner, denen man allesamt den Ehrennamen ‘Staatsmann’“ verweigern müsse. Und Gerhard Nebel notierte im Tagebuch: „Leute, die Phosphor auf unschuldige Frauen und Kinder abrieseln lassen, taugen so wenig wie die Schinder in den Konzentrationslagern.“

Auch die Besatzungszeit entsprach keinem Wunschbild. Alliierte Truppen bewegten sich zunächst keineswegs überall in Bahnen des Völkerrechts. Es gab lebensbedrohliche Willkür, Gefangenenmißhandlungen, Plünderungen und Vergewaltigungen in großer Zahl, daneben massive Unterversorgung im ideellen Kontext der Kollektivschuldthese. Gerade auf Innere Emigranten wirkte die erste Begegnung mit den Siegern häufig ernüchternd. Sie hatten sich Befreiung erhofft und ernteten Reeducation. Ihre sarkastische Distanz zu manchen der über die Innensicht des Regimes vielfach ahnungslosen Ankläger einte daher selbst Schriftsteller wie Ernst Jünger, Bergengruen oder Erich Kästner, die sonst wenig verband.

In dieser Atmosphäre entwickelte sich die große Kontroverse zwischen Inneren und Äußeren Emigranten vor allem um Thomas Mann, die meist von falschen beziehungsweise unvereinbaren Perspektiven, Anklagen und Apologien bestimmt war.Besonders zwei Aspekte vergällten den zahlreichen Hitler-Gegnern den Neubeginn: der (von manchen Exilanten auch ihnen gegenüber geäußerte) Grundverdacht kollektiver Systemnähe und eine fortschreitende antideutsche Entsolidarisierung.

Am Beispiel Ernst Jüngers, der 1939 mit „Auf den Marmorklippen“ eine klassische Widerstandsparabel und mit der geheimen Friedensschrift ein übernationales Aussöhnungsmanifest vorlegte, läßt sich dies veranschaulichen. Wie die meisten Vertreter eines „anderen Deutschland“ akzeptiere er schließlich die erneute Niederlage als einzige Chance sittlicher Regeneration. Doch tat er es, wie die Tagebuchnotiz vom 11. April 1945 verrät, nicht als Veränderungsideologe leichten Herzens: „Man kann das Notwendige sehen, begreifen, wollen und sogar lieben, und doch zugleich von ungeheurem Schmerz durchdrungen sein.“

„Einäugige Humanität ist widriger als Barbarei“

Daß nach dem verlorenen Krieg gemeinsam „Schulden abzutragen sind“, schien ihm unabweisbar. Doch wehrte er sich gegen das Pharisäertum einer triumphierenden Welt, die sich zuweilen sogar an Greueln wie den Vertreibungen oder Hungertoten ergötzte: „Einäugige Humanität ist widriger als Barbarei“, lautete sein Kommentar vom 11. Juni 1945. Auch mißfielen ihm „Landsleute, die sich einbilden, daß sie den Krieg mitgewonnen haben, wobei sie sich einer verhängnisvollen Täuschung hingeben“.

Bemerkenswert ist, daß diejenigen, die im Dritten Reich Mut zeigten, häufig auch jetzt bereit waren, sich für die nun international verfemten Landsleute zu verwenden. Das gilt für Bergengruen mit seiner Ode „An die Völker der Erde“, in der er die Sieger vor Selbstgerechtigkeit warnt, ebenso wie für Gertrud von Le Fort, Ricarda Huch, die daran erinnert, wie viele Regimegegner für Deutschlands Rettung ihr Leben geopfert haben, für Kästner oder Stefan Andres. Der Autor von „El Greco malt den Großinquisitor“ und „Wir sind Utopia“ appellierte zwar über Sender Neapel an die Deutschen, die Waffen niederzulegen, kündigte jedoch seine Mitarbeit, weil er die verständnislose Reeducation-Haltung nicht teilte. Im Gedicht „Manchmal im Traum“ verglich er sich mit dem biblischen Untergangspropheten Jonas:

„Gerettet – und zugleich von Scham verschlungen.

Da denk ich wohl: mich hat ein Traum bezwungen;

Und möcht erwachen von der Wirklichkeit,

Deutschland, zu dir, wie dich mein Traum gefreit.“

Der gewiß kaum des Nationalismus verdächtige Erich Kästner, überdrüssig der nicht endenden Fragen über sein Nichtexil, stellte klar:

„Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen.

Mich läßt die Heimat nicht fort.

Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen –

wenn’s sein muß, in Deutschland verdorrt.“