© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/15 / 24. April 2015

Nur die Lobbyisten sind dafür
Fracking: Bundesregierung errichtet hohe Hürden für kommerzielle Ausbeutung
Christoph Keller

Obwohl am 1. April vom Bundeskabinett beraten und auf den Weg Richtung Bundestag gebracht, ist die Gesetzesnovelle zum Erdgas-Fracking kein Scherz. Vielmehr verbietet der restriktive Rechtsrahmen für den Einsatz der umstrittenen Technologie, mit der Gasvorkommen in tiefen Gesteinsschichten ausgebeutet werden sollen, sehr viel, was bisher erlaubt war und macht nichts möglich, was bisher verboten war, wie Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) an die Adresse der vor dem Reichstag demonstrierenden, ein Totalverbot fordernden Fracking-Gegner die Stoßrichtung des Gesetzes skizzierte. Anders als bei „Euro-Rettung“ oder Einwanderung scheint die Bundesregierung beim Fracking endlich einmal Politik im Sinne einer breiten Bevölkerungsmehrheit zu gestalten. Befürchten doch immerhin 95 Prozent der Deutschen, daß die vom Umweltbundesamt (UBA) als „Hochrisikotechnologie“ eingestufte Erdgasgewinnung zur Verunreinigung des Trinkwassers führe.

Dem steht nun ein kurz vor der Berliner Kabinettssitzung veröffentlichtes Interview mit dem Präsidenten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) entgegen. Wer glaube, daß Fracking das Grundwasser verseuche, erliege einem „großen Mißverständnis“, erklärt BGR-Präsident Hans-Joachim Kümpel im April-Heft von Bild der Wissenschaft (4/15). Denn Grundwasser komme nur in geringen Tiefen vor.

Persilschein von der Bundesanstalt

In Nord- und Mitteldeutschland, die den Löwenanteil der geschätzten 2,3 Billionen Kubikmeter Erdgas bergen, dringen hydraulische Bohrungen aber deutlich über 1.000 Meter ins Erdinnere vor. Und dort gebe es kein Süßwasser, sondern nur Wasser mit Salzgehalten bis zu 20 Prozent.

Auch das mit Chemikalien versetzte Frack-Wasser, das mit hohem Druck in die Lagerstätten gepumpt wird, um das Gestein aufzubrechen und das Gas freizusetzen, könne nicht in trinkwasserhaltige Höhen aufsteigen, da undurchlässige Gesteinsschichten den Weg versperrten.

Zudem will Kümpel, im Vertrauen auf den exzellenten Stand der Technik, „mit sehr hoher Sicherheit“ Lecks im Bohrloch ausschließen. Ein Umweltrisiko bestünde nur bei der Förderung aus Sandsteinschichten, wenn hier stark salzhaltiges Lagerstättenwasser am Bohrplatz austrete. Wenn der Platz gut betoniert und es gewährleistet sei, das Wasser aufzufangen und in die ausgeförderte Lagerstätte zurückzupumpen, stelle aber diese Fracking-Variante keine Gefahr dar. Daher steht für Kümpel fest: „Aus geowissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Grund, Fracking zu verbieten.“

Kümpel bestätigt damit apodiktisch, was der Aachener Berg- und Umweltrechtler Walter Frenz soeben als eine aus übergroßer Vorsicht entsprungene Erschwerung des kommerziellen Frackings kritisiert. Die Gesetzesnovelle errichte im Wasserhaushaltsgesetz drei Genehmigungshürden vor der Zulassungsentscheidung: ein mehrheitlich positives, die Förderung für unbedenklich erklärendes Votum eines sechsköpfigen Expertenrates, in dem das UBA vertreten ist, eine Einstufung der verwendeten Gemische als nicht wassergefährdend durch eine UBA-Kommission sowie die Zustimmung der zuständigen Landesbehörde, die aber in deren Ermessen steht. Aber es sei nicht ersichtlich, worauf sich das Ermessen der Länder noch beziehen solle, wenn der Förderantrag schon von Experten als unbedenklich qualifiziert wurde. Diese letzte Hürde wirke sich, angesichts der sich „zuspitzenden Beziehungen“ zum Erdgaslieferanten Rußland, daher genauso verzögernd aus wie das gesetzlich fixierte Moratorium bis 2018. Erst danach werde überhaupt über Anträge auf kommerzielles Fracking entschieden, weil erst dann Erfahrungen mit den bis dahin durchzuführenden Probebohrungen ausgewertet seien (Umwelt- und Planungsrecht, 3/15).

Hohe Umweltschäden bei der Förderung in den USA

Deutsche Umweltschützer betonen hingegen, daß man heute bereits über genügend Erfahrungswerte verfüge – im Fracking-Dorado USA. Dort wies die Geowissenschaftlerin Susan Brantley (University of Pennsylvania) bei 6.400 kommerziellen Bohrungen 219 Methan-Leckagen (3,4 Prozent) nach. Forscher der New Yorker Cornell-Universität (Ithaca) errechneten bei 41.000 Bohrlöchern sogar einen Leckanteil von sechs Prozent. Im Trinkwasser einiger Regionen registrierte man überdies um bis zu sechsfach erhöhte Methan-Konzentrationen. Dort sei, wie der Wissenschaftsjournalist Johannes Winterhagen im Kontrast zu seinem Kümpel-Interview notiert, offenbar eingetreten, was der BGR-Präsident hierzulande für technisch fast ausgeschlossen hält: Defekte an den aus Zement bestehenden Verschalungen der Bohrlöcher.

Für die Geographin Cynthia Miller (Minnesota State University) ist das schadensanfällige US-Fracking laxeren Umweltstandards geschuldet. So schreiben etwa staatliche Vorschriften den Förderunternehmen bisher nicht vor, die verwendeten Flüssigkeiten anzugeben, in denen über 600 Chemikalien enthalten sein können. Angesichts enormer Wassermengen von 7,5 bis 15 Millionen Liter pro Gas- oder Ölquelle lasse sich mühelos auf Zehntausende Liter toxischer Stoffe und Karzinogene rückschließen. In North Dakota, wo seit 2008 die Öl- und Gasökonomie expandiert, übersteige in der Schieferlagerstätte Williston Basin die Abwasser- schon die Ölfördermenge. Da sei es „nicht verwunderlich“, wenn es regelmäßig zu Verunreinigungen und Unfällen komme (Geographische Rundschau, 3/15).

Bundesdeutsche Geologen bezweifeln ohnehin die Übertragbarkeit von US-Schadens- und Unfallraten auf Mitteleuropa. Nicht am ökologischen Widerstand oder an politischer Verzögerungsstrategie dürfte Fracking darum scheitern, wie Winterhagen meint, sondern an der Frage, wieviel sich aus dem dichten Gestein wirtschaftlich herauspressen lasse. Denn alle Abschätzungen deutscher Schiefergasvorkommen beruhen derzeit auf Hochrechnungen. Vielleicht liege das eigentliche Risiko der Hochrisikotechnologie darin, daß sich Fracking in Deutschland nicht lohnt.

Standpunkte der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und weiterer zum Fracking:

www.gfz-potsdam.de