© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Gegner wider Willen
Opfer der Eurorettung: Bausparkassen kündigen gezwungenermaßen Tausende von Altverträgen, Kunden sind empört und wehren sich
Ronald Gläser

Die Vertragsunterlagen sehen so aus, als kämen sie gerade aus der Druckerei. Nur die Frisur und die Berufsbezeichnung der Vermittlerin irritieren: „Brigitte Schulz, Bankkaufmann“, lautet die Bildunterschrift der Wüstenrot-Beraterin aus der Prä-Gender-Zeit. Auf den zweiten Blick fällt auf, daß auch der Werbespruch „Zum Glück berät Sie Wüstenrot“ nicht mehr ganz taufrisch ist. Er stammt von 1984.

Reinhold Eppler sitzt in seinem Wohnzimmer in Berlin-Neukölln. Ein Milka- und ein Lindt-Osterhase warten darauf, verspeist zu werden. Dem Rentner ist aber nicht nach Süßigkeiten zumute. Er ist sauer. Denn die Bausparkasse hat seine Verträge gekündigt. Der Grund: Die Zinssätze stammten aus der Hochzinsphase der Achtziger und Neunziger.

Wüstenrot stellt einfach

die Zinszahlung ein

4,5 Prozent standen Eppler auf seine 100.000 Euro zu. Zuviel für Wüstenrot. Die Bausparkasse stellte ab 2011 die Zinszahlung ein und überwies Epplers Geld auf ein unverzinstes Sonderkonto. Dort wartete es nur noch darauf, abgehoben zu werden. Eppler stellte sich stur.

Die große Politik ist in seinem Wohnzimmer angekommen. Und nicht nur da: 120.000 Bausparkassen-Kunden haben alleine seit 2014 die Kündigung ihrer Bauspardarlehen erhalten. Der Grund ist dieser: Die Zentralbankzinsen sind zu niedrig. Alexander Nothaft vom Verband der Privaten Bausparkassen wird deutlich: „Ich kann jeden Kunden verstehen, der sagt, er würde gerne weitersparen. Aber wir müssen sagen: Bitte versteht uns auch, wenn wir das nicht mehr leisten können wegen der Niedrigzinspolitik.“

Wie konnte es dazu kommen? Bausparen ist ein solides Geschäft. Keine großen Risiken, keine großen Margen. Sicherheit über alles. Neben der Lebensversicherung ist der Bausparvertrag ein zentraler Bestandteil der Altersabsicherung von Millionen Deutschen. Ein Finanzprodukt, das deutscher kaum sein könnte. Es gibt fast 50 Millionen Bausparverträge in Deutschland mit einem Gesamtvolumen von 1,4 Billionen Euro.

Aber Deutschland ist inzwischen durch den Euro zu eng mit den anderen Ländern verflochten, in denen kein so großer Wert auf eine sparsame Politik und eine solide Währung gelegt wird. Um Länder wie Griechenland vor dem Bankrott zu retten, hat die EZB die Zinsen immer weiter gesenkt. Mit den Stimmen anderer schwächelnder Staaten und gegen den Willen der Bundesbankvertreter. Ein Ende dieser Politik ist nicht absehbar.

Nothaft vergleicht die wirtschaftliche Lage der Bausparkassen daher mit einer Nebelwand. „Wir müssen jetzt anfangen zu bremsen, bevor wir in die Nebelwand einfahren“, so Nothaft. Zwar habe die EZB angekündigt, daß die Niedrigzins­phase „nur“ bis 2018 anhalten werde, aber wer wisse schon, ob das auch stimmt? Auch die Federal Reserve hatte eine Zinswende für den Mai angekündigt und dann kurzfristig verschoben. Jetzt spekulieren alle am Markt, ob die Zinswende im Juni oder im September kommt. Oder gar nicht.

Gekündigt werden jetzt Altverträge, bei denen der Zinssatz unmöglich zu erwirtschaften ist und die seit langem „ungenutzt“ daliegen. Die offfensichtlich nicht mehr dem Bauen, sondern nur noch dem Sparen dienen sollen. Die Bausparkassen dürfen ihr Geld nicht mit riskanten Methoden erwirtschaften: keine Aktienanlage, keine Währungsrisiken, keine strukturierten Geldanlagen wie Kreditverbriefungen. Auch deswegen sind die Bausparkassen so gut durch die Finanzmarktkrise von 2008/09 gekommen. Sie waren nicht im amerikanischen Subprime-Markt investiert oder in Gewerbeparks in Belfast. „Alles muß ganz sicher sein“, betont Nothaft. Doch das bedeutet: Das Geld fließt in Staatsanleihen, und die bringen immer weniger. „Wenn sie mal kucken, was sie für eine Bundesanleihe bekommen, da steht eine Null vorne.“ Daher bekommen die Bausparer derzeit auch nur noch mickrige Minizinsen. 0,38 Prozent gab es vor einer Woche. Das ist wenig.

Reinhold Epplers Verträge wurden vor über zwanzig Jahren abgeschlossen: 1987, 1989, 1993 und 1995. 2003 waren die Summen angespart. Am 18. Januar 2011 kündigte Wüstenrot. Die Mitarbeiter der Bausparkasse waren sich ihrer Sache selbst nicht ganz sicher. Anders läßt es sich nicht erklären, daß Sie den Kunden darum baten, diese Kündigung zu bestätigen – also eine Aufhebung des Vertrages im beiderseitigen Einvernehmen vorzunehmen. Das Formular, das ihm die Bausparkasse schickte, besagte: „Zahlungsauftrag. Mit dem Erreichen der Bausparsumme als vertraglich vereinbarte Obergrenze ist die Leistungspflicht für meinen oben genannten Bausparvertrag erfüllt. Der Bausparvertrag endet zum 30. 04. 2011.“ Eppler unterschrieb nicht und nannte kein Konto. Statt dessen begann er damit, Widerstand zu leisten. Er wandte sich an die Ombudsleute („diktatorische Fehlentscheidungen“). Setzte Schreiben an die Bafin auf. Durchforstete Urteile. Kontaktierte Verbraucherschützer und Staatsanwälte („Strafvereitelung im Amt“). Er hat im Januar einen offenen Brief an Justizminister Heiko Maas versandt. Darin holt er die große Keule raus: „Dieser bandenmäßig schwere Betrug ist ein Anschlag auf unseren Rechtstaat.“ Für die Bausparkassen ist er ein Querulant.

Schwäbisch Hall

muß Personal entlassen

Sie sehen sich im Recht und kündigen auch weiter Altverträge. Diese Vorgehensweise hat ihnen schlechte Presse eingebracht. Von FAZ bis Spiegel („Geschäftsgebaren nach Gutsherrenart“) werden sie abgewatscht. „BHW, LBS und Co. ist jedes Mittel recht, um ihre Kunden um die versprochene Rendite zu bringen“, ätzte unlängst n-tv. Selbst Branchenvertreter räumen ein, daß sich einige Institute imageschädigend verhalten haben. Sie verweisen aber auch darauf, daß die Kündigungen noch nicht einmal ein Prozent aller Verträge betreffen.

Außerdem sind sie ja wirklich in der Krise. Branchenprimus Schwäbisch Hall etwa hat bereits die Kündigung von 200 bis 250 Mitarbeitern angekündigt, weil das Unternehmen sparen muß. Letztlich geht es bei dem Streit um eine juristische Frage. Ist der Bausparvertrag ein Darlehen oder nicht? Reinhold Eppler sagt nein. Seiner Meinung nach darf ausschließlich das Bausparkassengesetz zur Anwendung kommen, das eine Kündigung nicht vorsieht. Die Bausparkassen sehen das anders. Ralf Conradi vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband sitzt in seinem Büro in der Berliner Friedrichstraße. Er ist als Verbandsjurist zuständig für die öffentlich-rechtlichen Bausparkassen wie LBS Nord oder LBS Bayern. Conradi nimmt das BGB zur Hand und bemerkt süffisant: „Der Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung.“ Paragraph 489 besagt, daß ein Darlehensnehmer einen Vertrag zehn Jahre nach dem Erhalt der gesamten Summe kündigen kann.

„Der Bausparvertrag ist dem Zweck nach ein Darlehensvertrag.“ Davon abgesehen gehe es für die Bausparkassen um die Existenz, unterstreicht Conradi: „Wir müssen das Überleben auch in einer Zeit sichern, in der für viele Anlagen nur noch Negativzinsen gezahlt werden.“

Welche Rechtsauffassung sich durchsetzt, ist noch nicht klar. Derzeit liegen keine höchstrichterlichen Urteile vor. Lediglich das Landgericht Mainz hat 2014 einmal im Sinne der Bausparkassen geurteilt. Das ist ein Punktsieg, mehr nicht.

Manchmal gehen solche Prozesse gegen Banken aus. So 2014 in einer Entscheidung zu Bearbeitungsgebühren. Damals untersagte der BGH Kreditgebern das Erheben derselben. Rückwirkend. Zehntausende bekamen Geld zurück.

Eppler hofft auf ein solches Urteil. Drei Jahre lang lag sein Geld unverzinst auf dem Sonderkonto, das macht über 15.000 Euro an entgangenen Zinsen. Er hat ein Mahnverfahren eingeleitet, um an das Geld zu kommen. Vielleicht wird das Thema demnächst verhandelt. Der Ex-Wüstenrot-Kunde will nicht lockerlassen.

Foto: Reinhold Eppler: Die große Politik ist im Wohnzimmer des Berliner Rentners angekommen, als Wüstenrot die Zinszahlungen einfach einstellte