© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Dorn im Auge
Christian Dorn

Das „Coming-out“ von Homosexuellen nimmt in den Medien mehr Raum ein als die Forschungsergebnisse der Nobelpreisträger – meint der Psychiater Burkhard Voß in seinem neuen Buch „Deutschland auf dem Weg in die Anstalt“ (Solibro-Verlag). Ein Ort, wo die Selbstbehauptung der Schwulenbewegung eine historisch einzigartige Evidenz erfuhr, ist das Kino „International“ an der Karl-Marx-Allee im Osten Berlins. Hier feierte ausgerechnet am Abend des 9. November 1989 „Coming Out“, der Film des Regisseurs Heiner Carow über einen schwulen DDR-Lehrer, seine Uraufführung – wegen des großen Besucheransturms in einer Doppelaufführung, während der Rest der Republik plötzlich selbst sein unverhofftes „Outing“ erlebte ...

Vor diesem Hintergrund hat der allwöchentliche „Mongay“-Abend in diesem Kino ein besonderes Vermächtnis. Diesmal steht die Vorschau des neuen Films von Rosa von Praunheim an, der durch sein einflußreiches Werk nicht nur Ikone der deutschen Schwulenbewegung ist, sondern auch einer der faszinierendsten Filmemacher, vor allem der wohl einfühlsamste. Es hat ein wenig Familiäres, als von Praunheim vor Filmbeginn einige Medienträger verschenkt, so eine Ausgabe des Magazins Männer mit seinem Titelbild, für das er kokett wirbt: „Bislang sind ja alle Magazine, die mich auf dem Cover hatten, eingegangen.“ Auch für seinen Gedichtband „Ein Penis stirbt immer zuletzt“ hebt sich schnell ein Arm aus dem Publikum.

Nach diesem Vorspiel wird es ernst. Der als Mix aus Spiel- und Dokumentarfilm produzierte Titel „Härte“ rekonstruiert die Vita des langjährigen Karate-Champions Andreas Marquardt, der später zum gefürchteten Zuhälter mutierte, weil er – so Marquardts Erkenntnis nach langjährigem Knast und Therapie – als Kind von seiner Mutter sexuell mißbraucht wurde. Dabei arbeitete von Praunheim hier erstmals mit professionellen Schauspielern: Katy Karrenbauer als die verhaßte Mutter, Luise Heyer als die Prostituierte Marion und Hanno Koffler als der unerbittlich harte und kalte Kerl Marquardt, der sich und seine Geschichte in diesem Film „eins zu eins“ wiederfindet. Dabei verleihen die in schwarzweiß gehaltenen Spielfilmszenen den Charakteren um so beeindruckendere Konturen – und eine betörend spielende Luise Heyer wirkt in manchen Szenen wie eine Wiedergängerin Romy Schneiders. Ein schwules Paar am Ausgang, offenbar „angefaßt“ von der Geschichte, faßt sich an den Händen. Der eine zum anderen: „Aber das nächste Mal gucken wir wieder was Romantisches!“