© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Der Traum vom ewigen Leben
Totenbuch des Amenemhat erstmals öffentlich gezeigt: Eine Ausstellung in Mannheim präsentiert Alltagswelt und Unsterblichkeitskult im Alten Ägypten
Felix Dirsch

Das Alte Ägypten behält über die Jahrtausende seine Faszination: die Pharaonen und ihr Kult, Götter, geheimnisvolle Rituale, heilige Schriften und vieles mehr. Zwei Bereiche wecken das Interesse der Nachwelt in besonderer Weise: Tod und Unsterblichkeit, also der Versuch, die Kultur auf Grundlagen von äußerst langer Dauer zu stellen, aber auch das Leben der „normalen“ Menschen.

Die Ausstellung „Ägypten – Land der Unsterblichkeit“ versucht, diese beiden sehr umfangreichen Wissensgebiete zu vereinen und überaus repräsentative Artefakte zu präsentieren. Der Besucher erhält am Beginn der Schau einen historischen Querschnitt über die lange Geschichte Altägyptens bis ins Römische Reich und eine Einführung in die Besonderheiten dieser Kultur.

Es ehrt die zuständigen Kuratoren der Reiss-Engelhorn-Mu-seen, daß sie den verbreiteten Fokus auf die ägyptische Historie etwas relativieren. Das tägliche Leben der Menschen, so nehmen viele Kenner an, ist weniger auf die Unterwelt fixiert, als im nachhinein häufig angenommen wurde. Zumeist lassen sich solche Vermutungen freilich nur schwer untermauern.

Insofern bietet der erste Teil der Ausstellung für manche einen ungewohnten, vielfältigen Einblick. Er reicht von der hierarchisch gegliederten Struktur des Landes, den Privilegien der Beamten, einer Auswahl von Stelen, Trinkgefäßen aus Keramik bis zum Kunsthandwerk, das hohe Standards setzt, einschließlich Schmuckstücken und Amuletten. Selbst Sandalen und Perücken sind zu bestaunen. Auch der Bereich der Ernährung wird nicht ausgespart. Brot und Bier fungieren als Grundnahrungsmittel. Fischfang und die Jagd bilden die Basis für das Überleben der Bewohner.

Natürlich fehlt auch der so wirkungsmächtige Sektor des Schrifttums nicht. Die Relevanz des Akkadischen als Sprache der Diplomatie wird hervorgehoben. Um 3200 v. Chr. finden sich erste Hinweise für den Gebrauch der Schrift im Zusammenhang der Verwaltung. Bald kristallisiert sich eine Spezialisierung heraus. Die bis heute legendenumwobenen Hieroglyphen gewinnen ihre Bedeutung in sakralen Kontexten. Sie werden vornehmlich auf Särgen, Tempeln und Pyramiden verwendet. In profanen Zusammenhängen herrscht die hieratische, später die demotische Schrift vor.

Die Höhepunkte der Ausstellung werden im zweiten Abschnitt gezeigt. Kunstvoll bemalte Särge und Mumienmasken, kostbare Grabbeigaben und Funde vom berühmten Pyramidenfriedhof von Gizeh illustrieren dieses spannende Kapitel. Der Traum von der Unsterblichkeit bringt einen differenzierten Totenkult hervor. Am Beispiel eines höheren Beamten bekommt der Besucher eine ausführliche Erläuterung. Im oberen Teil der Grabkapelle wird beabsichtigt, die Erinnerung an den Verstorbenen aufrechtzuerhalten. Dort befinden sich persönliche Gegenstände, die die Überfahrt ins Totenreich erleichtern sollen. Obwohl die Jenseitsvorstellungen sehr unterschiedlich sind, stellt man sich diese Reise im allgemeinen als gefahrenvoll und hürdenreich vor. Zu betrachten sind die kleinen Dienerfiguren, die Uschebtis. Sie geben Antworten anstelle ihres Herrn. Wenn dieser zur Arbeit gerufen wird, sollen derartige Gestalten zur Hilfe eilen. Für Arbeitsscheue aller Art ein passables Hilfsmittel! Überhaupt ist es eher merkwürdig, daß die so andersartige Unterwelt nicht selten als Verlängerung des Diesseits betrachtet wird. Im unteren Teil der Totenstätte befindet sich die Mumie. Er ist verschlossen und nicht zugänglich.

Das Totenreich der alten Ägypter zu thematisieren besitzt schon deshalb für unseren Kulturkreis einen besonderen Reiz, weil manche Vorstellungen Eingang ins christliche Glaubensbekenntnis finden. Dazu zählt der Gedanke vom Richter über die Lebenden und die Toten. Die Funktion, die ursprünglich Osiris ausübt, geht Jahrtausende später auf Christus über.

Ein herausragender Ausschnitt dieses Parts ist das Totenbuch des Amenemhat. So heißt ein wohlhabender Bewohner des Reiches, der es sich leisten kann, aus den im Umlauf befindlichen Totenbüchern religiöse Sinnsprüche zusammenzustellen und sie auf einen kostbaren Papyrus schreiben zu lassen. Eine solche Textsammlung dient als Begleitung auf dem Weg zum ewigen Leben. Der Verstorbene passiert eine – exemplarisch präsentierte – Scheintüre, die als Schnittstelle zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Welt dient. Der Phantasie, was dahinter kommt, sind naturgemäß keine Grenzen gesetzt.

Nicht nur der Inhalt des Totenbuchs des Amenemhat wird anschaulich nähergebracht; genauso bemerkenswert ist die Restaurierung des jahrtausendealten Textes, die von einem Expertenteam der Fachhochschule Köln unter speziellen Laborbedingungen durchgeführt werden mußte. Ein kurzer Film mit Untertiteln gibt Hinweise zu den nötigen technischen Fertigkeiten und Arbeitsschritten.

Es wäre ein Gewinn für die Ausstellung gewesen, wenn die Verantwortlichen zur Vertiefung des Gesehenen einen Katalog vorgelegt hätten. Unabhängig davon stellt die Mannheimer Präsentation eine schöne Ergänzung zur Münchner Tutanchamun-Schau dar, die sei Anfang April viele Interessierte anzieht.

Die Ausstellung „Ägypten – Land der Unsterblichkeit“ ist noch bis zum 17. Mai in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr zu sehen.

www.rem-mannheim.de