© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Keine Pressefreiheit ohne Wahrheit
„Tag der Pressefreiheit“: Schlimmer als staatliche Vorgaben sind die politische Korrektheit und Denkverbote
Giselher Suhr

Ein Spitzenplatz ist das nicht. Am Welttag der Pressefreiheit findet sich Deutschland nur auf Platz 12 des Rankings von Reporter ohne Grenzen. Die Unesco-Botschaft für den 3. Mai lautet: „Eine Beschränkung der Pressefreiheit ist immer auch eine Beschränkung der Demokratie.“

Tatsächlich erleben kritische Bürger hierzulande Medien, die sich der Legitimationsfrage stellen müssen. Darunter eine Presse, die ihre Kernaufgabe für die Demokratie kaum mehr erfüllt, Leser verliert und Widerstand erzeugt. Außerdem haben viele Bürger es satt, sich im Fernsehen mit Einheitsmeldungen berieseln zu lassen und dafür eine Zwangsabgabe zu zahlen.

Ein Gespenst geht um in Deutschland: Das Wort „Lügenpresse“. Leser und Nutzer begründen ihre Zweifel. Gleichzeitig ziehen die so Kritisierten eine Abwehrmauer gegen den Vorwurf hoch. Das Wort „Lügenpresse“ wurde von den Gralshütern des politisch-korrekten Gutmenschen-Mainstreams zum „Unwort des Jahres“ erklärt.

Was ist geschehen? Die New York Times gab sich in ihrer besten Zeit den Wahlspruch „All the News That’s Fit to Print“ (zu deutsch: „alle Nachrichten, die es wert sind, gedruckt zu werden“). In Deutschland tritt an die Stelle „aller Nachrichten“ immer mehr eine Themenauswahl nach einem einheitlich für alle Mainstreammedien geltenden Schema.

Die Liste dieser Themen ist lang. Ausländerpolitik, Umweltschutz, Klima, Außenpolitik (Ukraine), Atomkraft, Gerechtigkeit, Kampf gegen Rechts, linker Extremismus, Pegida usw. Bei diesen Themen wird nur berichtet, was die von den Redaktionen einheitlich bestimmte Richtung unterstützt. Es finden sich nur Meldungen, die eine selbstdefinierte, scheinbar gute Seite unterstützen.

Protagonisten einer Gegensicht werden bestenfalls mir ihren Erkenntnissen ignoriert. In der Regel müssen sie aber damit rechnen, diffamiert zu werden, ohne daß ihre Argumente gehört werden. Eine fundamentale Wahrheit für jeden Rechtsstaat und jede politische Auseinandersetzung – nämlich „Audiatur et altera pars“ (zu deutsch: Höre auch die andere Seite) – wird aus angeblich ethischen Motiven gekippt.

Tatsächlich gelten publizistische Unternehmen de jure als „Tendenzbetrieb“. Aber wenn nun fast alle diese Betriebe die gleiche Tendenz vertreten? Diese Tendenzbetriebe (vereinigt im Deutschen Presserat) haben sich zusätzlich ein enges Korsett geschneidert, das ihre Berichterstattung weiter einschnürt: den Pressekodex mit seinen Richtlinien, zu deren Einhaltung sie sich verpflichtet haben.

Das Meinungskartell beruht auf Angebotsbeschränkung

Nur ein Beispiel: Der Kodex berührt zentrale Themen wie die durch die Einwanderungswelle ansteigende Ausländerkriminalität. Sie werden, nach Pressekodex, ausgeblendet. Denn in Richtlinie 12 heißt es: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, daß die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“.

Hanns-Joachim Friedrich lehrte seine Volontäre stets, „Blut und Wasser zu schwitzen“ auf der Suche nach dem treffenden Begriff. „Ohne klare Begriffe kann es keine richtige Meldung geben!“, lautete sein Credo. Das gilt auch heute. Die Pressefreiheit beginnt beim einzelnen wahren Wort.

Aber heute übernehmen die Medien bedenkenlos die politisch vorgegebenen Begriffe. Wenn auf der Bundespressekonferenz Politiker von „Prekariat“ reden oder von „Menschen mit Migrationshintergrund“, gibt es am nächsten Tag in Fernsehen und Zeitungen keine „Unterschicht“ mehr und keine „Ausländer“. Zack! So schnell verändern Worte die Welt. Die allgegenwärtige politische Korrektheit bei der Wortwahl breitet einen rosaroten Schleier über die Wirklichkeit.

Sicher ist „Lügenpresse“ ein Wort mit wechselvoller Vergangenheit. Aber welches Wort wurde nicht mißbraucht in der deutschen Vergangenheit? Nicht nur „Autobahn“ geht gar nicht, wenn man den Ermittlern glaubt, die die dunkle Vergangenheit des Sprachgebrauchs untersuchen.

Bei der Abwehr des Begriffs „Lügenpresse“ kämpft ein Meinungskartell um seine Deutungshoheit. Ein Kartell, dessen Erfolg auf der Beschränkung des Angebots von Informationen beruht. Seine Deutungshoheit, seine Macht, würde in Frage gestellt, wenn „unter der Decke“ gehaltene Konflikte vorbehaltlos und kontrovers zur Sprache kämen.

Ja, es reichte 2015 für Rang 12 auf der Pressefreiheitsliste. Aber die bewertet nur die staatlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Wie die Medien in Deutschland selbst ihre eigene Pressefreiheit vor die Hunde gehen lassen, wurde nicht untersucht. Was bei dieser Selbstverstümmelung herauskommt, dafür haben Leser und Zuschauer ihren Begriff gefunden: Lügenpresse.

Giselher Suhr war Redakteur beim ZDF unter anderem für „Kennzeichen D“.