© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/15 / 01. Mai 2015

Der „girlfriend look“
Stilfragen: Was ist heute noch männliche Mode?
Elena Hickman

Der italienische Modedesigner Giorgio Armani sorgt für Empörung. Diesmal aber nicht etwa mit einem gewagten Kleidungsstück oder einer ausgefallenen Kollektion, sondern mit der Feststellung, daß schwule Männer sich nicht explizit homosexuell anziehen müßten. Schwule Männer seien immer noch „100 Prozent Männer“ und bräuchten sich auch nicht anders anzuziehen. Schwule Männer sollen sich also wie Männer kleiden. Im nachfolgenden (und zu erwartenden) Protest und „Shitstorm“ der LGBT-Bewegung wurden entscheidende Fragen allerdings nicht aufgeworfen: Was genau ist eigentlich „männliche Mode“? Und wie männlich kann sich ein Mann anziehen?

Ein Blick auf die Laufstege der bekannten Modemarken läßt viele dabei ratlos zurück. Dort hat gerade der „girlfriend look“ für Männer Hochsaison. Im Extrem war dieser in der Herbst/Winter-Kollektion von Gucci zu sehen: dünne, androgyne Models mit langen Haaren. Dazu Hemden (oder wäre Bluse der passendere Ausdruck?) aus Seide und Satin, mit Spitzen, Schleifen, Blumenmuster, Rüschen am Rollkragen und auch mal einer rosafarbenen Ansteckblume. Und Gucci ist dabei nicht allein. Bei Givenchy tragen Männer Röcke, und auch Saint Laurent und Prada haben sich längst den blumigen Chiffon-Blusen und Hosen mit hohen Taillen verschrieben.

Und wer immer noch denkt, Schuhe mit hohem Absatz seien nur etwas für Frauen, sollte noch einmal genauer hinsehen. Für den aufgeschlossenen Mann ist es anscheinend der neueste Trend, die eigene Garderobe mit einem Hauch Weiblichkeit aufzufrischen. Oder auch mit etwas mehr, wie zum Beispiel Oscar-Preisträger Jared Leto, der mit einer gelben Hose und beigefarbenen Stiefeln gesichtet wurde – aus der Damenkollektion von Chanel.

Natürlich ziehen sich die wenigsten Männer im „normalen“ Leben so an, wie es auf den Laufstegen präsentiert wird. Aber vielen ist nicht bewußt, wie sehr Modehäuser – allen voran H & M – den Stil der großen Designer kopieren. Kurz nachdem etwa die Designer Dolce & Gabbana 2013 ihre Models in byzantinisch und religiös inspirierten Kleidern über den Laufsteg schickten, tauchte der Stil auch im Einzelhandel auf. Plötzlich waren Mosaikmuster auf den Shirts zu sehen und große, goldene Kreuze bei den Accessoires.

Über Geschmack im allgemeinen und Mode im besonderen läßt sich ja bekanntlich wundervoll streiten – was dem einen gefällt und vielleicht den Inbegriff von Männlichkeit darstellt, ist für den anderen „ästhetisch gewöhnungsbedürftig“. Aber für jeden gibt es den passenden Kleiderstil: vom Outdoor-Fanatiker mit Jack-Wolfskin-Jacke und Fjäll-Räven-Wachshose bis hin zum Skinny-Jeans-Hipster mit Wollmütze und zu großer Hornbrille.

Seide und Satin, Schleifen, Rüschen und Röcke

Mode für Männer besteht schon lange nicht mehr nur aus karierten Holzfällerhemden und verwaschenen Jeans. Hemden mit Blumenmuster haben den Sprung aus der Hawaii-Ecke auf die ganz normale Kleiderstange geschafft. Sogar die Farbe Rosa ist normaler Bestandteil jeder Männerabteilung geworden.

Allerdings sind trotz des breiten Spektrums an Männermode auch hier Grenzen wichtig. Denn bis hin zu Schleifen und mit Straß-Steinchen besetzten bauchfreien Seidenblusen kann der Begriff „männlich“ nicht gestreckt werden. Ein Mann kann sich nicht männlich anziehen, wenn er bei aktuellen Fashion-Vorgaben genausogut in der Frauenabteilung einkaufen könnte.

Armani fordert, Männer sollten sich wieder männlicher anziehen. Das ist im Prinzip sehr zu begrüßen, allerdings ist die Definition von „männlicher Mode“ inzwischen sehr löchrig geworden – und wird mit immer mehr glitzerndem Seidenstoff geflickt.

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