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Boris Johnson. Der beliebte Tory-Wuschelkopf bringt sich politisch in Stellung
Politik ohne Feng Shui
Christian Vollradt

Wenn er sich da mal nicht geirrt hat. 2007, ein Jahr bevor Boris Johnson zum Londoner Bürgermeister gewählt wurde, antwortete er im Gespräch mit der Weltwoche auf die Frage, ob politisch Unkorrekte eine Chance beim Wähler hätten: „Nein. Die Leute wollen Feng Shui.“

Eine Wiederwahl und Dreiviertel der zweiten Amtsperiode später erklimmt der bullige Tory mit dem charakteristischen Blondschopf immer noch regelmäßig einen Spitzenrang, wenn es um die Beliebtheitswerte britischer Politiker geht. Möglicherweise begeistern sich die Stimmbürger auf der Insel doch weit weniger für die modische Harmonielehre aus Fernost – und mehr für authentische Typen ohne Scheu vor gepflegtem Tabubruch.

Gepflegt ist das Stichwort. Denn Alexander Boris de Pfeffel Johnson, so sein voller Name, ist Fleisch vom Fleische der Elite im Vereinigten Königreich. Sein Vater saß für die Konservativen im Europäischen Parlament, sein Urgroßvater war letzter Innenminister des Osmanischen Reiches, und über seine deutschen Ahnen ist der 1964 geborene Politiker mit dem württembergischen Königshaus weitläufig verwandt. Er absolvierte das renommierte Knabeninternat Eton genauso wie die Universität Oxford, wo er Mitglied des elitären (und wegen gelegentlicher Alkoholexzesse berüchtigten) Bullingdon Clubs wurde.

Als „Eliten-Proll“ verspotten ihn die einen, neutraler klingt anarcho-konservativer Exzentriker. Naheliegend für einen, der seinen Wählern schon mal versprach, mit jeder Stimme für die Tories wachse der Brustumfang ihrer Ehefrauen; der andererseits aber während einer Rede von Englisch fließend in Latein oder Altgriechisch wechseln kann, der einen Roman über islamistischen Terror („72 Jungfrauen“) und ein vielbeachtetes Buch über den „Churchill-Faktor“ geschrieben hat. Vor seiner politischen Karriere (2001 bis 2008 saß er bereits im Unterhaus) war der bekennende Germanophile („Es ist Zeit, das neue Deutschland zu umarmen“) Journalist, unter anderem als Korrespondent für den Telegraph.

Natürlich hat auch ein Politiker, dessen Anhänger sich sogar in völlig unpolitischen Fanclubs organisieren, Kritiker. Die einen geißeln ihn als faktisch machtlosen Clown, die anderen (vor allem im eigenen Lager) verstört seine programmatische Sprunghaftigkeit. Etwa wenn der Thatcher-Bewunderer Johnson 2013 die ökonomische Ungleichheit als naturgegeben und sinnvoll preist, der Wahlkämpfer Johnson jedoch 2015 die krassen Lohnunterschiede für problematisch hält. Möglicherweise sind es genau solche Überlegungen von Macht und Ohnmacht, die „Bo-Jo“ bewogen haben, für den als „tory-sicher“ geltenden Wahlkreis Uxbridge bei der Unterhauswahl zu kandidieren. Denn der Mann, dem höhere Weihen – einschließlich denen eines Tory-Premierministers nach David Cameron – zugetraut werden, möchte mehr erreichen. Ganz sicher ohne Feng Shui.