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Sigmar Gabriels unfreundlicher Akt
BND-Affäre: Der Skandal um die Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit dem amerikanischen Geheimdienst NSA belastet zunehmend die Große Koalition
Paul Rosen

Auf dem Schachbrett der Berliner Politik ist Bewegung feststellbar. Unterschiedliche Kräfte in den Regierungsfraktionen nutzen die jüngste Affäre um den Bundesnachrichtendienst (BND), um ihre Figuren auf bessere Positionen vorrücken zu lassen. Während SPD-Chef-Sigmar Gabriel versucht, den weiteren Verlauf des Spiels zu bestimmen, wirkt Kanzlerin Angela Merkel seltsam teilnahmslos. In der CDU kommt es zu den ersten Diadochenkämpfen.

Für Thomas de Maizière wird es eng

Noch am Wochenende hatte es nicht so ausgesehen, als ob die SPD die Vorwürfe gegen den BND nutzen würde, um ein Faß gegen Merkel aufzumachen. In Interviews rührte sich nur der schleswig-holsteinische SPD-Chef Ralf Stegner, der Front gegen die CDU und ihre Spitzenpolitiker machte. Für die Unionsführung war das kein Anlaß zum Kontern. Stegner werde selbst in der SPD nicht ernst genommen, heißt es im Konrad-Adenauer-Haus. Auch Gabriels erste Sätze vom Montag, es sei „nicht klar, was der BND nun eigentlich getan hat“, brachten die größere Regierungspartei noch nicht aus der Ruhe.

Wenig später blinkten alle Alarmsignale. Gabriel setzte sich über die Gepflogenheiten in der Koalition hinweg und plauderte aus persönlichen Gesprächen mit der Kanzlerin, die er zweimal gefragt habe, ob ihr Hinweise vorlägen, daß der BND im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes NSA Wirtschaftsspionage in Deutschland betreibe. „Beide Male ist das von der Kanzlerin verneint worden“, berichtete Gabriel. Und er setzte noch eins drauf: „Wenn es wirklich einen Beitrag des BND zur Wirtschaftsspionage gegeben haben sollte, der über den bekannten Fall von EADS (Rüstungskonzern, heute Airbus) hinausgeht, wäre das eine schwere Belastung auch des Vertrauens der deutschen Wirtschaft in staatliches Handeln.“ Auf die Koalition gemünzt war dann der folgende Satz von Gabriel: „Das ist mehr als eine der üblichen und alle paar Jahre wiederkehrenden Affären um Geheimdienste.“ Er sprach von einem „Geheimdienstskandal, der geeignet ist, eine sehr schwere Erschütterung hervorzurufen“.

Für die Erschütterung gibt es auch andere Wörter: Koalitionskrise beziehungsweise Regierungskrise. Noch ist unklar, was Gabriel genau will; vermutlich weiß er es selbst nicht einmal, sondern macht es von den sich ergebenden Chancen abhängig. Das große Ziel schimmert aber durch: Gabriel will Merkel schwächen, die seltsam teilnahmslos wirkt und bisher nur eine Neuauflage ihrer Bemerkung von 2013 herausbrachte. Damals sagte sie über die Amerikaner: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“ Jetzt ließ sie wissen, solche Hilfsspähaktionen für die Amerikaner durch den BND hätten nicht passieren dürfen.

Wenn die von Gabriel vorausgesagten Erschütterungen zum Rücktritt der Kanzlerin führen sollten, wäre es dem SPD-Vorsitzenden recht. Aber noch erscheint dieser Weg als zu unwahrscheinlich, die bisher bekannten Vorgänge aus der Welt der Schlapphüte sind unklar und unpräzise. Daß hier mediale Übertreibungen die richtige Einordnung der Dinge verhindern könnten, machte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen klar, der auf einer Geheimdienste-Tagung in Berlin feststellte: „Nicht jeder Fehler ist ein Skandal – auch wenn er Mitarbeitern eines Nachrichtendienstes unterläuft.“

Merkel könnte allerdings bei wachsendem Druck gezwungen sein, einen ihrer Mitarbeiter zu opfern. Das wäre nach Lage der Dinge der heutige Innenminister Thomas de Maizière, der zwischen 2005 und 2009 als Kanzleramtschef für die Aufsicht über die Geheimdienste und die Koordination zuständig war und von diesen Aktivitäten, die gewiß über das reine Tagesgeschäft hinausgehen, hätte wissen müssen.

Könnte de Maizère aus dem Kabinett hinausgeschossen werden, würde Merkel ihren treuesten Gefährten verlieren. Es würde einsam um die Kanzlerin, die ohnehin in dem Ruf steht, mögliche Konkurrenten frühzeitig aus dem Weg zu räumen. Als Beispiel genannt wird immer wieder der vor ihr aus der Politik geflüchtete Friedrich Merz.

De Maizière ist in vergangener Zeit ständig unter Druck. Ihm wird vorgeworfen, in seiner Amtszeit als Verteidigungsminister Probleme mit dem Sturmgewehr G36 heruntergespielt zu haben. Seltsam an diesen Vorwürfen ist, daß sie nie aus der kämpfenden Truppe kamen und auch nicht von ausländischen Streitkräften erhoben wurden, in denen das G36 Massenware ist. Für Beobachter des Berliner Politikbetriebes war weniger seltsam, daß die Vorwürfe ausgerechnet von Journalisten transportiert wurden, denen ein gutes Verhältnis zu de Maizières Nachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU) nachgesagt wird. Die Initiierung von Angriffen auf den heutigen Innenminister wird direkt auf die Leitungsebene im Berliner Bendlerblock zurückgeführt. So wäre de Maizières Ablösung oder wenigstens Schwächung im Interesse von Gabriel und von der Leyen. Beide wollen Kanzler werden. Gabriel will Merkel schwächen und dann stürzen, von der Leyen will ihren Rivalen de Maizière aus dem Weg räumen und 2017 an Stelle von Merkel die Kanzlerkandidatur. Und viele Jäger können des Hasen Tod sein.

Foto: Innenminister Thomas de Maizère (CDU): Unter Druck