© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de

Grüße aus Madrid
Zahnlos in die Zukunft
Michael Ludwig

Juan ist 28 und arbeitet bei einer deutschen Firma. Er hat ein Universitätsstudium hinter sich, und sein Lohn orientiert sich am spanischen Durchschnittsgehalt in Zeiten der Krise – knapp eintausend Euro netto. So weit, so schlecht, möchte man sagen, aber es kommt noch eine weitere unglücklich anmutende Nachricht hinzu: Juan hat heftige Zahnschmerzen.

Wir treffen uns in unserer Stammkneipe. Juan hat gerade ein paar Schmerztabletten eingeworfen und blickt mißmutig durch den Raum. Er sei doch versichert, sage ich, das alles dürfe doch kein Problem sein, natürlich das Bohren. Er schüttelt den Kopf und drückt das nasse Taschentuch, das er mit Eiswürfeln gefüllt hat, ein Stück fester gegen die geschwollene Wange. „Die gesetzliche spanische Krankenversicherung, in der ich bin, zahlt bei Zahnproblemen nur eine Behandlungsart“, sagt er und fügt seufzend hinzu: „Weißt du, welche?“

„Keine Ahnung.“ „Ziehen. Aber ich brauche eine neue Plombe, vermutlich sogar zwei. Die kosten mich 120 Euro. Das kann ich mir augenblicklich nicht leisten.“ Sein Konto sei ohnehin schon überzogen, und mit seiner Bank sei nicht zu reden.

Bei den Zahnärzten ohne Grenzen kostet die Behandlung dann nur zwanzig Euro.

Juan füllt sein Taschentuch mit ein paar neuen Eiswürfeln aus seinem Cola-Glas nach. „Neulich habe ich in der Zeitung gelesen, daß neunzig Prozent der 65jährigen nur noch sechs bis zwölf eigene Zähne haben. Das muß man sich einmal vorstellen. Wenn das mit der wirtschaftlichen Krise nicht bald vorbei ist und die Regierung ihre Gesundheitspolitik nicht ändert, werde ich auch nicht mehr haben.“

In der Tat zeigt die Krise ihre häßlichen Zähne – mehr als die Hälfte der Bevölkerung war laut aktuellen Statistiken zwischen 2011 und 2012 nicht beim Zahnarzt, weil sie es sich nicht leisten konnte; die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen ist um 35 Prozent zurückgegangen. Rund die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder leidet unter Karies.

„Ich werde“, sagt Juan, „wohl zur Caritas gehen und dort meine Festanstellung verschleiern müssen. Die schickt mich dann zu den Zahnärzten ohne Grenzen, wo mich die Behandlung nur zwanzig Euro kosten wird.“ Er könne aber auch zur zahnärztlichen Fakultät der Universität Complutense gehen und sich dort den Studenten als Übungsobjekt ausliefern. Das sei ebenfalls ziemlich preiswert, allerdings betrage die Wartezeit ein Jahr.