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Arbeitskampf zwischen Bahn und Lokführergewerkschaft eskaliert
Alle Räder stehen still
Jörg Fischer

Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“ Diese Zeilen aus dem „Bundeslied“ des Freiheitskämpfers Georg Herwegh scheinen anderthalb Jahrhunderte später wieder hochaktuell, denn die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ruft: „Es ist genug!“ Bis kommenden Sonntag soll der Güter- und Personenverkehr erneut bestreikt werden.

Millionen zornige Pendler bleiben wieder auf leeren Bahnhöfen oder im Stau stehen. Der Industrieverband BDI befürchtet „leere Lager, unterbrochene Wertschöpfungsketten und Produktionsausfälle“. Nur die Luftfahrt-, Fernbus- und Taxi-Branche freut sich auf zusätzliche Umsätze. Aber warum kann eine Gewerkschaft mit nur 34.000 Mitgliedern „Streikkosten von einer halben Milliarde Euro“ (DIHK-Chef Eric Schweitzer) verursachen?

Die GDL hat wie etwa die Pilotengewerkschaft Cockpit erkannt, daß die Sozialpartnerschaft zusammen mit der „Deutschland AG“ untergegangen ist. Jeder ist sich nun selbst der Nächste. Lebenslange Festanstellungen werden immer weniger, Millionen sind schon abgerutscht in Leiharbeit, Werks- und Zeitverträge oder Scheinselbständigkeit. Gleichzeitig langen Führungskräfte immer schamloser zu – die zu hundert Prozent in Bundesbesitz befindliche DB AG macht da keine Ausnahme: Aus den einst fünf Präsidenten der Bundesbahn wurden acht Vorstände mit einem Gehalt, das dem mehrfachen der Bundeskanzlerin entspricht. Hinzu kommen Hunderte DB-Tochtergesellschaften, deren Manager jährlich Millionen verschlingen.

Die GDL-Mitglieder fordern ebenso ihren Anteil. Die beamteten Lokführer ohne Streikrecht sind bald alle in Pension, die angestellten Triebfahrzeugführer spielen ihren Marktwert aus: ohne sie dreht sich kein Rad. Die GDL verlangt daher selbstbewußt Lohnzuwächse, kürzere Arbeitszeiten und einen eigenen Flächentarifvertrag – einschließlich der Rangierlokführer. Doch die Bundesregierung will den Eisenbahnern diesen Wettbewerbsvorteil nicht zugestehen. Und das ist das eigentliche Ziel des geplanten Tarifeinheits- und Zwangsschlichtungsgesetzes: Es geht um die faktische Einschränkung des Streikrechts für Spartengewerkschaften.

Die DB wolle daher „diesen Tarifkonflikt noch so lange auf dem Rücken der Bahnkunden aussitzen, damit sie in Zukunft mit ihrer Hausgewerkschaft EVG arbeitgeberfreundlichere und billigere Tarifverträge abschließen kann“, klagt GDL-Chef Claus Weselsky. Auch Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery schwant Böses: „Dieses Gesetz führt zu undemokratischen Einheitsgewerkschaften“, warnte der Ex-Sozialdemokrat via Bild-Zeitung. „Daß die SPD hier gemeinsame Sache mit der CDU macht, um einseitig die Arbeitgeber und die Großgewerkschaften zu stärken, erschüttert mich zutiefst.“